Entscheidungsstichwort (Thema)
künstliche Befruchtung. Intracytoplasmatische Spermieninjektion. ICSI. Kinderwunschbehandlung. Kryokonservierung -Vorkernstadium. Behandlungsversuch. Frischezyklus. Kryozyklus
Leitsatz (amtlich)
Als erfolglose Behandlungsversuche iSd § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V können nur solche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gewertet werden, die in den Richtlinien über künstliche Befruchtung nach § 27a Abs. 5 SGB V aufgeführt sind.
Unterschiedliche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung können bei der Zählung der erfolglosen Behandlungsversuche iSd § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V grundsätzlich nicht addiert werden.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 27. Januar 2022 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides 18. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2020 verurteilt, an die Klägerin 6.256,31 € zu zahlen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung der (hälftigen) Kosten für zwei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung mittels intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) iHv insgesamt 6.324,85 €.
Die 1979 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Ihr 1970 geborener Ehemann leidet an einer schweren Fertilitätsstörung. Im Jahr 2010 gebar die Klägerin in Folge einer Kinderwunschbehandlung eine Tochter.
Zusammen mit ihrem Ehemann ließ die Klägerin im Jahr 2015 nach einer entsprechenden Genehmigung durch die Beklagte einen vollständigen Behandlungszyklus mittels ICSI durchführen. Die Beklagte beteiligte sich zu 50 Prozent an den Kosten. Die Behandlung führte nicht zur Schwangerschaft. Im November und Dezember 2015 erfolgten zwei weitere Behandlungszyklen mit kryokonservierten Eizellen im Vorkernstadium, die bei der ICSI-Behandlung gewonnen worden waren. Auch diese Behandlungen, die ohne Kostenbeteiligung durch die Beklagte durchgeführt wurden, waren nicht erfolgreich.
Im Jahr 2018 erfolgte erneut ein von der Klägerin selbst finanzierter Behandlungszyklus mittels ICSI, der zwar zu einer Schwangerschaft führte, aber mit einem Abort endete. Es schloss sich im Februar 2019 ein weiterer - erfolgloser - selbstfinanzierter Behandlungszyklus mit kryokonservierten Eizellen im Vorkernstadium an, die bei der vorherigen ICSI-Behandlung gewonnen worden waren.
Mit Datum vom 28. Februar 2019 legte die Klägerin - nach einer entsprechenden ärztlichen Beratung - der Beklagten einen weiteren Behandlungsplan für eine Maßnahme zur künstlichen Befruchtung mittels ICSI zur Genehmigung vor.
Mit Bescheid vom 18. März 2019 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sie höchstens drei Behandlungsversuche bezuschussen könne, wenn diese erfolglos gewesen seien. Die Klägerin legte Widerspruch gegen den Bescheid ein.
In der Zeit vom 14. Mai 2019 bis zum 14. Juni 2019 ließ die Klägerin erfolglos den ersten hier streitgegenständlichen Behandlungsversuch mittels ICSI im Kinderwunschzentrum Potsdam, welches über eine Genehmigung nach § 121a Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) - (SGB V) verfügt, durchführen. Die Medikamentenverordnung und der Bezug des Medikaments für die zweite hier streitgegenständliche ICSI-Behandlung datierte auf den 16. Juli 2019 (Menogon HP 75 I.E.; Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung). Am 31. Juli 2019 erfolgte die Injektion des Arzneimittels (Rechnung des Kinderwunschzentrums Potsdam vom 30. September 2019). Auch dieser ICSI-Behandlungsversuch war erfolglos, ebenso wie der weitere Behandlungsversuch, welcher in der Zeit vom 9. Oktober 2019 bis zum 25. Oktober 2019 mittels kryokonservierten Materials erfolgte.
Damit stellen sich die durchgeführten Behandlungsversuche wie folgt dar:
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Behandlungsversuche |
Zeitraum |
ICSI 2015 (Frischzyklus) (Finanzierung durch Krankenkasse) |
14. September 2015 bis 19. Oktober 2015 - keine Schwangerschaft - |
2015 (Kryozyklus) (Eigenfinanzierung) |
3. November 2015 bis 27. November 2015 - keine Schwangerschaft - |
2015 (Kryozyklus) (Eigenfinanzierung) |
3. Dezember 2015 bis 22. Dezember 2015 - keine Schwangerschaft - |
ICSI 2018 (Frischzyklus) (Eigenfinanzierung) |
20. August 2018 bis 1. Oktober 2018 - Schwangerschaft mit Abort - |
2019 (Kryozyklus) (Eigenfinanzierung) |
6. Februar 2019 bis 25. Februar 2019 - keine Schwangerschaft - |
ICSI 2019 (Frischzyklus) (streitgeg. Antrag auf Erstattung) |
14. Mai 2019 bis 14. Juni 2019 - keine Schwangerschaft - |
ICSI 2019 (Frischzyklus) (streitgeg. Antrag auf Erstattung) |
31. Juli 2019 bis 14. September 2019 - keine Schwangerschaft - |
2019 (Kryozyklus) (Eigenfinanzierung) |
9. Oktober 2019 bis 25. Oktober 2019 - keine Schwangerschaft - |
Für die streitgegenständlichen ICSI-Behandlungsversuche reichte die Klägerin Rechnungen und Rezepte ein, aus denen sich ein Betrag iHv insgesamt 12.649,70 € ergibt, wobei die Klägerin gegenüber der Beklagte...