Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Versicherungspflicht. selbständiger Ergotherapeut. Anforderungen zur Prognoseentscheidung über die Höhe des beitragsrelevanten Einkommens. Bestimmtheitsanforderung bei konkludenter Aufhebung eines Bescheides über die Versicherungsfreiheit durch einen späteren Beitragsfestsetzungsbescheid
Orientierungssatz
1. Der Beruf des Ergotherapeuten ist noch immer den Pflegepersonen und nicht den Heilkundigen im Sinne des Rentenversicherungsrechts zuzuordnen, so dass selbständige Ergotherapeuten in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich pflichtversichert sind (Anschluss an BSG vom 4.6.1998 - B 12 KR 9/97 R = SozR 3-2600 § 2 Nr 3).
2. Die Frage, ob für einen Selbstständigen aufgrund eines nicht nur geringfügigen Einkommens eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, wird durch den Rentenversicherungsträger aufgrund einer von ihm vorzunehmenden Prognoseentscheidung getroffen. Dabei sind für diese Prognose lediglich solche Umstände maßgeblich, von denen im Zeitpunkt der Entscheidung davon ausgegangen werden kann, dass sie das Erwerbseinkommen künftig bestimmen werden.
3. Erlässt der Rentenversicherungsträger einen Bescheid über die Erhebung von Beiträgen wegen des Eintritts von Versicherungspflicht infolge der Erzielung eines höheren Arbeitseinkommens, so ist damit zugleich ausreichend deutlich und für den Adressaten erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass ein früherer Bescheid über die Feststellung der Versicherungsfreiheit künftig keinen Bestand haben soll.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. August 2011 geändert.
Der Bescheid vom 29. Juni 2009 in der Fassung des Bescheides vom 17. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Bescheides vom 01. Februar 2011 werden aufgehoben, soweit Beiträge von 4.923,48 Euro für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis 31. Dezember 2007 gefordert werden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu einem Viertel zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Beitragszahlung wegen Versicherungspflicht als selbständig tätige Pflegeperson.
Die im März 1960 geborene Klägerin ist seit dem 17. Mai 2005 in eigener Praxis als Ergotherapeutin tätig. Sie beschäftigt keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer.
Nachdem die Klägerin im Juni 2005 angegeben hatte, als Ergotherapeutin 40 Stunden wöchentlich mit einem Einstiegsgeld der Bundesagentur für Arbeit bisher ohne Arbeitseinkommen nur auf ärztliche Anordnung tätig zu sein und beantragt hatte, einkommensgerecht Beiträge zu zahlen, erteilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (nachfolgend ebenfalls Beklagte genannt) den Bescheid vom 14. Juli 2005, mit dem sie verfügte, dass die Klägerin in ihrer selbständigen Tätigkeit ab 17. Mai 2005 versicherungsfrei sei, weil nur eine geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt werde. Sie wies darauf hin, dass die Klägerin verpflichtet sei, die Beklagte unverzüglich zu benachrichtigen, wenn sie eine mehr als nur geringfügige selbständige Tätigkeit ausübe. Eine geringfügige selbständige Tätigkeit liege vor, wenn das Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit monatlich 400,00 Euro nicht übersteige.
Im Rahmen der Überprüfung ihres Versicherungsverlaufs teilte die Klägerin im Mai 2009 mit, seit 01. Juni 2005 als Ergotherapeutin mit den Aufgaben Planung, Organisation und Ausführung für Ärzte und Kinderärzte 50 bis 60 Stunden wöchentlich mit einem Arbeitseinkommen nicht über 400 Euro monatlich tätig zu sein. Sie legte eingegangen am 29. Juni 2009 den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 11. Mai 2005, die Bescheide der Arbeitsgemeinschaft Stadt Brandenburg/Havel vom 22. Dezember 2004, 17. Juni 2005, 15. November 2005 und 06. Januar 2006 nebst Bescheid vom 05. Dezember 2006 und die Bescheide des Finanzamtes Brandenburg vom 06. November 2006, vom 21. Dezember 2007 und vom 05. Dezember 2008 vor.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2009 verfügte die Beklagte, dass ab 01. Januar 2006 eine Änderung in der Beitragszahlung eintritt. Sie forderte Beiträge in Höhe des halben Regelbeitrages von Januar 2006 bis Dezember 2008 und einkommensgerecht ab Januar 2009 von insgesamt 10.194,72 Euro für Januar 2006 bis Juni 2009.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sehe sich angesichts der Beitragsforderung gezwungen, Insolvenz anzumelden. Es liege eine gesetzliche Regelungslücke vor. Sie stehe als selbständige Ergotherapeutin zwischen den Berufsbildern Logopädin (nicht versicherungspflichtig) und Physiotherapeutin (versicherungspflichtig). Zu ihrem Berufsbild gehörten sowohl Diagnostik als auch Therapieplanung; dennoch arbeite sie auf ärztliche Weisung/Verordnung. Sie fügte den Bescheid des Finanzamtes Brandenburg vom 04. A...