Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit. kombinierte Verpflichtungs-, Feststellungs- oder Leistungsklage. sachliche Unzuständigkeit des Rentenausschusses gem § 36a Abs 1 Nr 2 SGB 4. gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1103, Nr 4109. Lungenkrebserkrankung. Chromexposition. Nickelexposition. kumulative Belastungsdosis. haftungsbegründende Kausalität. Konkurrenzursache. Tabakkonsum. Schweißertätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit der Anfechtungsklage angefochtene Bescheide des Rentenausschusses über (isolierte) Ablehnung einer Berufskrankheit oder von einmaligen Leistungen/Beihilfen sind auch bei richtiger Entscheidung in der Sache wegen sachlicher Unzuständigkeit nach § 36a Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 4 aufzuheben und die damit kombinierte Verpflichtungs-, Feststellungs- oder Leistungsklage abzuweisen.

2. Für die Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkungen iSd BKV Anl 1 Nr 1103 und einer Lungenkrebserkrankung ist regelmäßig eine kumulative Chrom(VI)-Belastung von ca 500 µg/m³ x Jahre (iS eines Orientierungswertes) erforderlich.

3. Zum Lungenkrebsrisiko bei Expositionen gegenüber Nickel und seinen Verbindungen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.10.2023; Aktenzeichen B 2 U 165/22 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden die Urteile des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Oktober 2017 zu den Aktenzeichen S 15 U 42/15, S 15 U 43/15 und S 15 U 44/15 wie folgt abgeändert:

a) Die Bescheide des Rentenausschusses der Beklagten über die Ablehnung einer Berufskrankheit vom 14. März 2013 und 21. November 2013 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27. März 2014 werden aufgehoben.

b) Der Bescheid des Rentenausschusses der Beklagten über die Ablehnung von Hinterbliebenenleistungen vom 21. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2014 wird aufgehoben, soweit darin auch Hinterbliebenenleistungen in Form von Sterbegeld, Erstattung von Überführungskosten und einmaliger Witwenbeihilfen abgelehnt worden sind.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu einem Zehntel (1/10) zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit stehen die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach den Nummern (Nr.) 1103 (Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen), 4103 (Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura), 4104 (Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren), 4109 (bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel und seine Verbindungen), 4113 (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m³) x Jahre]) und 4114 (Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 zur Berufskrankheitenverordnung ≪BKV≫ entspricht) der Anlage 1 zur BKV sowie Lebenszeit- und Hinterbliebenenleistungen.

Der 1958 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherter) absolvierte von September 1974 bis Februar 1976 eine Ausbildung zum Metallurgen für Formgebung im VEB Stahl- und Walzwerk G (ab 1990 dann: G Stahlwerke GmbH, jetzt: Schmiedewerke G GmbH) und war dort anschließend bis Oktober 1976 als Stempler beschäftigt. Von November 1976 bis Oktober 1979 verrichtete er seinen Wehrdienst bei den Grenztruppen der DDR und war danach von November 1979 bis März 1980 erneut beim VEB Stahl- und Walzwerk G als Verkettungsmaschinist erwerbstätig. Von April 1980 an arbeitete er beim Forschungszentrum für Wassertechnik in D, zunächst als Instandhaltungsmechaniker, dann ab Januar 1984 bis März 1991 als technischer Assistent. Ab April 1991 übte der Versicherte im Nachfolgebetrieb, der EvU Entwicklung von Umwelttechnik GmbH (später in EvU Innovative Umwelttechnik GmbH umbenannt; im Folgenden: EvU GmbH), bis Februar 1992 eine Tätigkeit als Anlagenbauer aus. Ab Mai 1992 war er dann bei der EvU GmbH als Schlosser/Schweißer zunächst bis April 2000 in D und dann ab Juni 2000 bis zum Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am 29. März 2012 in St mit Unterbrechungen in Vollzeit beschäftigt. So erfolgte in der Zeit von Dezember 2002 bis Mai 2003, März 2004 bis Juni 2004, April 2008 bis Mai 2008 und vom 01. bis zum 31. März 2011 jeweils nur eine geringfügige Beschäftigung bzw. im Mai 2000, Februar 2004, von Januar 2009 bis zum 17. Mai 2009 und von Januar bis Februar 2011 gar keine Beschäftigun...

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