Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Wirksamkeit der Rücknahme eines Beitragsbescheides

 

Orientierungssatz

1. Nach § 101 Abs. 2 SGG erledigt ein angenommenes Anerkenntnis den Rechtsstreit in der Hauptsache. Dies gilt auch dann, wenn ein notwendig Beigeladener dem Anerkenntnis nicht zustimmt. Weil diesem gegenüber des Anerkenntnis keine Bindungswirkung entfaltet, ist er nicht gehindert, die in dem Anerkenntnis liegende Regelung seinerseits mit Rechtsmitteln anzugreifen.

2. Ein Bescheid, der sowohl begünstigende als auch belastende Regelungen enthält, unterfällt bei Unteilbarkeit der Regelungen insgesamt den für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Vertrauensschutzregelungen. Unteilbarkeit liegt u. a. dann vor, wenn die Versicherungspflicht gleichermaßen Pflichten und Rechte, nämlich Beitragspflichten und Leistungsansprüche begründet. In einem solchen Fall ist die Rücknahme des ergangenen Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB 10 möglich.

3. Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB 10 ist Ermessensentscheidung. Deren Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Klägerin hat den Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 2) seit dem 1. April 2009 der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliegt.

Die Beigeladene zu 1) arbeitet seit dem 1. April 2000 als Kauffrau im Einzelhandel im Betrieb der Beigeladenen zu 2). Dessen alleiniger Inhaber ist ihr Ehemann, mit dem die Beigeladene zu 1) im gesetzlichen Güterstand lebt.

Seit dem 1. April 2004 war die Beigeladene zu 1) bei der BKK FTE krankenversichert, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Auf der Grundlage von Angaben auf einem “Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen (Ehegatten, Lebenspartner) im Rahmen eines Anfrageverfahrens gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV„ entschied die BKK FTE durch Bescheid vom 4. April 2006, dass ab dem 1. April 2004 keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliege. Die Beigeladene zu 1) unterliege keinem Weisungsrecht, könne ihre Tätigkeit frei bestimmen, die zudem aufgrund familiärer Rücksichtnahmen durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt sei, und habe weder Urlaubsanspruch noch eine Kündigungsfrist.

Diesen Bescheid der BKK FTE legte die Beigeladene zu 1) der AOK Pforzheim vor, bei der sie in der Zeit vom 1. April 2000 bis zum 31. März 2004 versichert war, und bat für diesen Zeitraum um eine gleichlautende Entscheidung. Daraufhin leitete die AOK Pforzheim die ihr vorliegenden Unterlagen einschließlich einer Kopie des Bescheides der BKK FTE vom 4. April 2006 an die Klägerin weiter, wo sie am 27. Juli 2006 eingingen. Die Klägerin wies die BKK FTE durch Schreiben vom 3. August 2008 zunächst darauf hin, dass die Entscheidung über das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht nach Punkt 8 der Niederschrift der Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 5. und 6. Juli 2005 mit ihr abzusprechen gewesen wäre. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2006, bei der Klägerin eingegangen am 6. Oktober 2006, erklärte die BKK FTE gegenüber der Klägerin, dass sie bei ihrer Auffassung bleibe, es handele sich aufgrund familienhafter Mitarbeit nicht um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Die Beklagte erklärte dazu schriftlich am 17. Oktober 2006, dass sie die Auffassung der BKK FTE nicht teile und bat um Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2006. Durch Bescheid vom 26. Oktober 2006 nahm die BKK FTE gegenüber der Beigeladenen zu 1) ihren Bescheid vom 4. April 2006 “aufgrund der Anweisung der deutschen Rentenversicherung„ zurück. Die Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) sei als versicherungspflichtig anzusehen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die BKK FTE durch Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2007 zurück.

Gegen den Bescheid der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 26. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2007 erhoben die Beigeladenen am 15. März 2007 Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe. Die Klägerin wurde vom Sozialgericht Karlsruhe durch Beschluss vom 12. Juni 2007 zum dortigen Verfahren beigeladen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Karlsruhe am 17. Juni 2008 wies die Kammervorsitzende die BKK FTE darauf hin, dass es Zweifel am Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2006 gebe...

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