Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Satzung einer KÄV. Selektivverträge. Auskunftspflicht gegenüber der KÄV
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung darf in ihre Satzung eine Regelung aufnehmen, derzufolge die an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer verpflichtet sind, der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung auf Verlangen die von ihnen mit den Krankenkassen geschlossenen Verträge (zB die sog Selektivverträge) vorzulegen.
2. Hält ein Gericht eine von der Aufsichtsbehörde insgesamt beanstandete Satzungsänderung einer Selbstverwaltungskörperschaft für teilweise rechtmäßig, darf es die Aufsichtsbehörde nur dann zu einer Teilgenehmigung verpflichten, wenn es sich um einen sachlich sinnvoll abtrennbaren Teil handelt und nicht in die Selbstverwaltungskompetenz der Körperschaft eingegriffen wird.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zu ½.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine von der Beklagten nicht genehmigte Satzungsänderung.
Die Vertreterversammlung der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beschloss am 17. März 2005 einen 8. Nachtrag zu ihrer Satzung mit dem Inhalt, § 9 - Rechte und Pflichten der Mitglieder - in Abs. 8 lit. b so neu zu fassen, dass Abs. 8 künftig lauten sollte (Änderungen sind unterstrichen):
Die Mitglieder und die sonstigen an der vertragsärztlichen Versorgung Teilnehmenden, soweit sie Honorar von der Vereinigung erhalten, sind verpflichtet,
a) der Vereinigung alle Auskünfte zu erteilen und die Unterlagen vorzulegen, die zur Nachprüfung der vertragsärztlichen und psychotherapeutischen oder sonstigen von der Vereinigung sicherzustellenden und zu gewährleistenden Tätigkeiten erforderlich sind;
b) die Teilnahme an Modellvorhaben, Verträgen zur integrierten Versorgung und sonstigen von den Krankenkassen außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführten Versorgungsformen unverzüglich schriftlich anzuzeigen und die entsprechenden Verträgen mit den Krankenkassen auf Verlangen vorzulegen. Die Teilnahme an einer derartigen Versorgung lässt die Verpflichtung nach Abs. 7 unberührt.
§ 9 Abs. 7 der Satzung regelt die Berechtigung/Verpflichtung der KV-Mitglieder zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und am ärztlichen Bereitschaftsdienst sowie zum Abhalten von Sprechstunden.
Der zwecks Genehmigung dieser Satzungsänderung angegangene Beklagte veranlasste bzw. erhielt die Genehmigungsfähigkeit betreffende Stellungnahmen u.a. des (damaligen) Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, anderer für Aufsichtsangelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zuständigen Landesministerien sowie von Krankenkassen(-verbänden). Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 lehnte der Beklagte die Satzungsänderung ab, weil die bestehenden gesetzlichen Vorschriften keine Rechtsgrundlage dafür enthielten, dass Vertragsärzte Verträge außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung der Klägerin auf Verlangen vorzulegen hätten. In das System der integrierten Versorgung nach § 140a ff SGB V sei die Klägerin gerade nicht einbezogen, sodass ihr auch kein Prüfrecht hinsichtlich des Inhaltes dieser Verträge eingeräumt sei. Der Satzungsnachtrag sei auch nicht notwendig, um Doppelabrechnungen zu verhindern oder die Anschubfinanzierung bzw. Bereinigung der Gesamtvergütung nach § 140d SGB V prüfen zu können. Die Prüfung unrechtmäßiger Doppelabrechnungen von Leistungen der integrierten Versorgung und der vertragsärztlichen Versorgung falle nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V in die Zuständigkeit der Krankenkassen, welche die KVen über die Prüfungen und deren Ergebnisse zu unterrichten hätten. Die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS) als Registrierungsstelle für Verträge zur integrierten Versorgung erteile jeder KV die ihr gemeldeten Auskünfte. Unabhängig hiervor hätten die KVen das Recht, wegen einer vermeintlich unberechtigten Kürzung der Gesamtvergütung gegen die kürzende Krankenkasse rechtlich vorzugehen.
Mit Urteil vom 30. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Für die von der Vertreterversammlung der Klägerin beschlossene Vorlagepflicht gebe es weder eine Ermächtigungsgrundlage noch stehe eine solche Pflicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen, denn sie verstoße gegen § 140a ff SGB V. Die Aufgaben der KVen seien auf die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ausgerichtet, die sie gegenüber den Krankenkassen zu gewährleisten hätten. Nur in diesem Zusammenhang könnten sie ihren Mitgliedern Pflichten auferlegen und diese gegebenenfalls mit den Mitteln des Disziplinarrechts durchsetzen. Die mit der Satzungsänderung vom 17. März 2005 den Vertragsärzten auferlegten Pflichten stünden nicht im Zusammenhang mit dem Sicherstellungsauftrag der Klägerin, da dieser nicht...