Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen G. erhebliche Gehbehinderung. Wegefähigkeit. ortsübliche Wegstrecke. keine Notwendigkeit von Schmerzfreiheit. sozialer Rückzug. Verneinung des Vorliegens einer psychogenen Gangstörung
Orientierungssatz
1. Für die Wegefähigkeit beim Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung) kommt es nicht darauf an, ob die Wegstrecke schmerzfrei zurückgelegt werden kann.
2. Ein sozialer Rückzug ist nicht mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des § 229 Abs 1 S 1 SGB 9 2018 gleichzusetzen (vgl LSG Hamburg vom 3.7.2012 - L 3 SB 6/09).
3. Zur Verneinung des Vorliegens einer "psychogenen Gangstörung".
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. November 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Mit seiner Berufung begehrt der Kläger noch die Feststellung des gesundheitlichen Merkmals (im Folgenden auch: Merkzeichen) „G“ sowie die Ausstellung des Beiblatts für unentgeltliche Personenbeförderung.
Der am xxxxx 1966 geborene Kläger stellte am 3. September 2014 einen Erstfeststellungsantrag nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bei der Beklagten. Zuletzt stellte die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 19. August 2015 einen Grad der Behinderung (im Folgenden: GdB) von 60 für eine psychische Störung (Teil-GdB von 50) und eine Funktionsstörung der Wirbelsäule (Teil-GdB von 30) fest.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2015 beantragte der Kläger die Ausstellung des Beiblattes mit Wertmarke für die unentgeltliche bzw. ermäßigte Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Die Beklagte lehnte dies am 7. Dezember 2015 mit der Begründung ab, ein Beiblatt werde nur an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die im Besitz eines gültigen Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen G, Gl oder H seien. Der Kläger gehöre nicht zu diesem Personenkreis.
Gegen den ihm am 15. Dezember 2015 zugegangenen Bescheid legte der Kläger am 13. Januar 2016 Widerspruch ein und trug vor, ihm stünden die Merkzeichen G und B zu, weil er wegen seiner Rückenerkrankung mit starken Schmerzen in seiner Beweglichkeit stark eingeschränkt sei. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung in Form von Depressionen und Angstzuständen sei er bei der Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln zudem auf eine Begleitperson angewiesen. Wenn er allein fahre, habe er fast immer Panikattacken und es komme zu unkontrollierten Handlungen wie beispielsweise dem Öffnen der Tür während der Fahrt.
Nach Auswertung eingeholter Befund- und Behandlungsberichte lehnte die Beklagte die beantragte Neufeststellung mangels wesentlicher Änderung der Verhältnisse mit Bescheid vom 5. August 2016 ab. Der neben den bereits anerkannten Gesundheitsstörungen zusätzlich berücksichtigte Kniegelenksverschleiß wirke sich aufgrund eines Teil-GdB von 10 nicht auf den Gesamt-GdB aus. Die Voraussetzungen für die beantragten Merkzeichen G und B lägen nicht vor.
Hiergegen erhob der Kläger am 30. August 2016 Widerspruch und beantragte nunmehr die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und H sowie erneut die Ausstellung des Beiblattes für unentgeltliche Personenbeförderung. Er sei am 8. August 2016 aufgrund starker Rückenbeschwerden in der Notfallaufnahme der A. behandelt worden. Sein psychischer Zustand sowie die Beschwerden im Kniegelenk hätten sich wesentlich verschlechtert, sodass er kaum noch Strecken über 50 m ohne starke Schmerzen zurücklegen könne.
Nach Einholung des Entlassungsberichts der A. und eines Befund- und Behandlungsberichts der behandelnden Ärztin L. sowie der Auswertung dieser Unterlagen durch den Ärztlichen Dienst (Stellungnahme Dr. S., Bl. 82 der Verwaltungsakte der Beklagten) wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2017 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Behinderung des Klägers mit einem GdB von 60 angemessen bewertet worden und keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten sei. Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, H und B lägen nicht vor. Schließlich könne auch kein Beiblatt für die unentgeltliche Personenbeförderung ausgegeben werden, weil der Kläger nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre.
Am 24. März 2017 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg und begehrte die Feststellung eines höheren GdB als 60 sowie des Merkzeichens G und der Ausstellung des Beiblattes für die unentgeltliche Personenbeförderung.
Das Gericht holte Befund- und Behandlungsberichte der behandelnden Ärzte des Klägers sowie Gutachten von der Deutschen Rentenversicherung K. ein. Des Weiteren holte das Gericht ein Sachverständigengutachten auf orthopädisch/chirurgischem Fachgebiet durch Dr. U. ein. In seinem Gutachten vom 18. Januar 2018 diagnostizierte der Sachverständige nach ambulanter Untersuchung des Klägers degenerative Verä...