Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflicht. Erstattungsantrag. Verjährungsfrist. Erkennbarkeit der Unrichtigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 26 Abs. 2 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zur Sozialversicherung zu erstatten. Gemäß § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.
2. Die Entscheidung, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen, steht im Ermessen des Leistungsträgers. Eine solche Berufung ist nur ausgeschlossen, wenn dies eine unzulässige Rechtsausübung in Form eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wäre. Fehlerhaftes Verwaltungshandeln schließt die Erhebung der Verjährungseinrede nicht aus, wenn der Betroffene eine unrichtige Beitragsentrichtung ohne Weiteres hätte erkennen können.
3. Ein Schreiben kann nur als Erstattungsantrag gewertet werden, wenn deutlich wird, dass es dem Betroffenen um die in der Vergangenheit gezahlten Beiträge und deren Erstattung geht.
Normenkette
SGB IV § 26 Abs. 2, § 27 Abs. 2
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung (KV und PV).
Der 1950 geborene Kläger war bei der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 30. April 2011 mit Höchstbeiträgen als hauptberuflich Selbstständiger versichert.
Seit 1997 war er Geschäftsführer der W. GmbH. Mit Schreiben vom 5. Mai 2002 teilte er dem Amtsgericht Schwerin mit, dass die W. GmbH zum 30. Mai 1999 den Geschäftsbetrieb unterbrochen und die Produktionsräume in W1 zum Anfang Januar 2000 geräumt habe, allerdings bis zum Jahr 2000 dort Büroräume unterhalten habe. Im Jahr 2001 sei am Wohnsitz des Geschäftsführers auf der Insel P. ein Geschäftsbüro unterhalten worden. Am 6. November 2001 sei das Gewerbe auf der Insel P. als Umzug wieder angemeldet worden. Die Firma bestehe weiterhin, eine Auflösung sei nicht eingeleitet. Zum 1. Juni 2002 werde der Geschäftssitz nach Lüneburg verlegt und entsprechend beim Handelsregister umgemeldet.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 28. April 2011 an die Beklagte, in dem er mitteilte, dass er seit dem Jahr 1999/2000 bei der Beklagten als Selbstständiger freiwillig versichert sei, seit dem Jahr 2002 aber keine Tätigkeit als Selbstständiger oder Nichtselbstständiger ausübe, sondern von seinem Vermögen lebe. Sein jährlich deklariertes Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 7.500.- € resultiere aus der steuerlichen Hinzurechnung des geldwerten Vorteils aus der Nutzung eines Firmenwagens. Dennoch berechnete die Beklagte jedes Jahr den Höchstsatz. Aus seinen Steuerbescheid aus dem Jahre 2009 ergäben sich 21.000.- € als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Ausschüttung aus Einlagen) und 3.012.- € Einkünfte aus Kapitalvermögen. Er frage sich, ob er tatsächlich die Höchstbeiträge zahlen müsse.
Nach einem telefonischen Kontakt mit einem Mitarbeiter der Beklagten erklärte der Kläger unter Vorlage der Steuerbescheide für die Jahre 2008 und 2009 mit Schreiben vom 10. Mai 2011, dass er seit 2002 von Ausschüttungen aus seiner Firma - also von seinem Vermögen - gelebt habe, welches in der Steuererklärung als Einkommen aus Gewerbebetrieb ausgewiesen sei, aber ausschließlich Ausschüttungen aus der Kapitalrücklagen beträfe.
Mit Bescheid vom 19. Mai 2011 stellte die Beklagte ab 1. Mai 2011 aufgrund beitragspflichtiger Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 2.608,25 € die Beitragspflicht zur freiwilligen KV in Höhe von 388,60 € und zur PV in Höhe von 57,38 € fest.
Mit Schreiben vom 30. Juli 2012 überreichte der Kläger den Steuerbescheid für 2010. In einer Änderungsmitteilung/Antrag auf Weiterversicherung vom 2. August 2012 gab der Kläger als bisheriges Versicherungsverhältnis „selbstständig“ an. Er beantrage die Weiterversicherung wegen vorübergehender Arbeitslosigkeit ab dem 1. Januar 2012 „(ALG I, ALG II wurde nicht beantragt)“. Er habe kein Einkommen.
Mit bestandskräftigen Bescheid vom 18. September 2012 legte die Beklagte ab dem 1. August 2012 als beitragspflichtige Einnahme ein Drittel der monatlichen Bezugsgröße (875.- €) zugrunde und verlangte einen Beitrag zur KV in Höhe von 130,38 E und zur PV in Höhe von 19,25 €.
Mit Schreiben vom 9. April 2013 bei der Beklagten eingegangen am 15. April 2013 beantragte der Kläger unter anderem die Rückerstattung zu viel gezahlter Beiträge zur KV für die Jahre 2009-2012. Zu diesem Streitgegenstand führte der Kläger unter dem Aktenzeichen S 48 KR 5593/18 (Urteil vom 2. September 2021) und L 1 KR 96/21 (Urteil vom 6. Juni 2023) einen gesonderten Rechtsstreit. Auf die dort ergangenen Urteile wird ergänzend Bezug genommen.
Am 17. Juni 2019 beantragte der Kläger die Erstattung von zu Unrecht gezahlten Beiträgen zur KV und PV für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2008 in Höhe von ...