Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Anerkennung einer geltend gemachten Erkrankung als sog. Wie-Berufskrankheit
Orientierungssatz
1. Die Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4106 BKV erfasst ausschließlich Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen. Liegt beim Versicherten eine solche Erkrankung nicht vor, so ist mangels bestehender tatbestandlicher Voraussetzungen eine Anerkennung der geltend gemachten Erkrankung als BK nach Nr. 4106 BKV ausgeschlossen.
2. Die Anerkennung einer Krankheit als Wie-BK soll nach der Öffnungsklausel von § 9 Abs. 2 SGB 7 nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist.
3. Auch die Anerkennung einer Erkrankung als Wie-BK setzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit voraus, dass die beruflichen Einwirkungen die Erkrankung wesentlich verursacht haben. Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden, dass eine berufliche Exposition gegenüber Aluminium-Acetylacetonat eine Hirnerkrankung bzw. eine Polyneuropathie verursacht.
Tenor
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung einer Hirnerkrankung und einer Polyneuropathie als Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 4106 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) bzw. die Anerkennung als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK).
Der Kläger ist 1956 geboren und war bei der T. vom 1. Oktober 1987 bis zum 31. August 1997 als promovierter Chemiker und vom 1. September 1997 bis 31. August 2007 als Laborleiter beschäftigt. Vom 1. September 2007 bis zu seinem Ausscheiden am 31. Juli 2015 (bezahlt freigestellt ab Mitte 2013) war der Kläger zuständig für IP-Recherche und Analyse.
Anfang November 2015 teilten die behandelnden Ärzte des Klägers der Beklagten mit, dass der Kläger als promovierter Chemiker mehr als 20 Jahren chemisch/toxischen Belastungen bei der T. während seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei, sich in einem schlechten Gesundheitszustand befinde und er dies auf die Exposition am Arbeitsplatz zurückführe.
Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen zum Vorliegen einer BK auf, in deren Verlauf u.a. ein Befundbericht der Segeberger Kliniken von Dezember 2009 vorgelegt wurde, nach welchem bei dem Kläger ein progredientes cerebelläres Syndrom bei bildmorphologischem Verdacht auf eine Amyloidangiopathie vorliege und der Kläger sich im Oktober 2009 wegen einer deutlich progredienten Gang- und Standunsicherheit vorgestellt habe. Das Vorerkrankungsverzeichnis ergab eine Arbeitsunfähigkeit von 7 Tagen im Jahre 2007 wegen einer Rechtsherzinsuffizienz, von rund drei Wochen Anfang 2008 wegen einer Wundrose und ab 9. Oktober 2009 bis 28. Februar 2011 wegen Zentraler Amyloidangiopathie.
Die Beklagte holte Auskünfte zur Arbeitsanamnese vom Arbeitgeber des Klägers ein und veranlasste im Januar 2017 eine Besprechung vor Ort beim Arbeitgeber in Anwesenheit des Klägers. Im Bericht des Präventionszentrums vom 3. Februar 2017 heißt es zusammenfassend: „Da der Versicherte überwiegend im Laborbereich und dort in leitender Position arbeitete, ist zwar ein Umgang mit den genannten Lösungsmitteln [vorrangig Aceton, Siedegrenzenbenzin, Isopropanol, seltener Toluol, Ester, keine Aromaten] nicht auszuschließen. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass im Laborbereich, in dem selbst eine technische Lüftung vorhanden ist, lediglich mit kleinen Mengen unter dem Abzug umgegangen wird. Ein gelegentlicher Hautkontakt lässt sich retrospektiv nicht ausschließen, zumal der Versicherte angab, in den ersten Jahren seiner Beschäftigung selten Schutzhandschuhe getragen zu haben. Die Tätigkeit im Chemielabor beim Mitgliedsunternehmen lässt sich jedoch in keiner Weise vergleichen mit jenen besonderen Risikoberufen, die für die BK-Nr. 1317 genannt werden.“
Die Beklagte holte des Weiteren eine Beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P. ein, welcher am 13. Februar 2017 ausführte, weder die vermutete Amyloidangiopathie noch die Anpassungsstörung, die Hypertonie oder die Herzinsuffizienz, unter welcher der Kläger leide, falle unter die BK 1317. Allenfalls für den Zeitraum bis 1997 sei bei dem Kläger eine relevante Exposition gegenüber potentiell neurotoxisch wirkenden Lösungsmitteln gegeben gewesen, wobei es keine Hinweise auf Lösungsmittel mit erhöhtem neurotoxischen Potential gebe. Acrylate gehörten nicht zu den neurotoxisch wirksamen Stoffen. Die zeitliche Latenz zwischen Erkrankung und beruflicher Exposition spreche unabhängig von der diagnostischen Einordnung ebenfalls gegen einen Kausalzusammenhang.
Mit Bescheid vom 2. März 2017 und Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 wies die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers als Berufskr...