Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Hinterbliebenenleistung. haftungsbegründende Kausalität. Tod des Versicherten durch eine Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4103. Lungenfibrose. Asbestose. Nachweis. Asbestexposition 1955 bis 1994. Asbestkonzentration von ca 7 Faserjahren. beidseitige Pleuraplaques. Chrysotilasbestfasern. Lungenstaubanalyse im Jahr 2011: Feststellung einer geringen Asbestfaserkonzentration. sog Fahrerfluchtphänomen. epidemiologische Wahrscheinlichkeitsabmessung. radiologischer Befund: vermehrte subpleurale streifige Netzzeichnung mit Übergang in ein Honigwabenmuster. Maschinenbauer

 

Orientierungssatz

1. Zum bejahten Anspruch einer Witwe auf Hinterbliebenenleistung gem § 63 Abs 1 SGB 7, deren Ehemann wegen der Folgen einer Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4103 (hier: durch Asbestose verursachte Lungenfibrose) verstorben war.

2. Es entspricht - wie in den Falkensteiner Empfehlungen ausgeführt - weiterhin dem herrschenden medizinischen Kenntnisstand, dass Chrysotilfasern zwar eine deutlich verkürzte Halbwertzeit (und damit geringe Biobeständigkeit - so genanntes Fahrerfluchtphänomen) im Lungengewebe aufweisen, aber hinsichtlich ihrer gesundheitsschädigenden Wirkung kein Unterschied zu anderen Asbestarten besteht; alle Asbestfaserarten können Lungenfibrosen (Asbestosen) und Pleuraplaques verursachen. Aufgrund des Fahrerfluchtphänomens (bzw hit-and-run-phenomenon) kann demnach nach einer weit zurückliegenden, arbeitsbedingten Chrysotilexposition (hier im Zeitraum von Januar 1955 bis Januar 1994) eine Asbestkörperchenzählung (hier im Jahr 2011) durch eine Lungenstaubanalyse zu völlig vorhersehbaren negativen Ergebnissen führen, so dass die Diagnose einer durch Asbestose verursachten Lungenfibrose dem nicht entgegensteht.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 2. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Die Klägerin ist die Witwe des am 9. März 2011 verstorbenen Versicherten I. (im Folgenden: Versicherter).

Aufgrund einer von Dr. J., Ärztin für Innere Medizin, K., am 14. Dezember 2000 erstatteten „Ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit (BK)“, in der diese den Verdacht auf das Vorliegen einer Asbestose bei dem 1940 geborenen Versicherten äußerte, leitete die Beklagte ein BK-Feststellungsverfahren zur BK-Ziffer 4103 ein. Dabei befragte sie u.a. den Versicherten zu dessen beruflichen Lebenslauf (ab 01/1955 bis 01/1994 Tätigkeiten als Maschinenbauer, Ingenieurs-Assistent/Ingenieur, Mitglied der Maschinenbesatzung verschiedener Seeschiffe) und bat ihren Präventionsdienst um Stellungnahme zu den beruflichen Asbestbelastungen, der am 23. März 2001 im Wesentlichen ausführte, dass keine Unterlagen mehr zu den Arbeitgebern des Versicherten vorlägen, allerdings von einem errechneten Asbestkontakt von 6,095 Asbestfaserjahren auszugehen sei.

Anschließend veranlasste sie eine Begutachtung des Versicherten durch Dr. J., die in ihrem Gutachten vom 27. Juni 2001 das Vorliegen einer BK-4103 aus medizinischer Sicht bejahte, allerdings die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) noch mit unter 20 v.H. einschätzte, weil bei dem Versicherten eine pulmonale Fibrose im Sinne einer Lungenasbestose sowie eine leichte Pleuraasbestose ohne größere Lungenfunktionseinschränkungen, insbesondere der Vitalkapazität, vorgelegen hätten. Zusätzlich hierzu holte die Beklagte das röntgenologische Zusatzgutachten des Prof. Dr. L. vom 13. Juni 2001 ein.

Mit Bescheid vom 25. September 2001 erkannte die Beklagte daraufhin das Vorliegen einer BK-4103 an und bezeichnete die BK-Folgen (Lungenasbestose mit bindegewebsartigen Veränderungen - Fibrose - und leichter Asbestose des Brustfells mit einzelnen verkalkten Verdickungen des Brustfells beiderseits - Pleuraplaques - herabgesetzte Lungendehnbarkeit ohne bedeutsame Lungenfunktionseinschränkung). Die Gewährung von Rentenleistungen lehnte sie hingegen ab, weil keine BK-bedingte MdE in rentenberechtigendem Grad aufgrund der BK-Folgen vorliege.

In den Jahren 2002 und 2003 veranlasste die Beklagte Nachbegutachtungen des Versicherten durch Dr. J. (Gutachten vom 31. Juli 2002 und 16. Juli 2003) und Dr. M., Internist, Bremerhaven (Gutachten vom 29 August 2003), die jedoch zu keiner Einschätzung einer MdE um 20 v.H. führten.

Nach zwei stationären Aufenthalten des Versicherten (7. August 2007 bis 9. August 2007 und 12. Februar 2008 bis 14. Februar 2008 in der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin des Klinikums N.) stellte dann Dr. J. in ihrem am 29. Mai 2008 erstatteten Gutachten (unter Auswertung eines Zusatzgutachtens des Dr. L. vom 22. Mai 2008) sowie einer am 23. Juni 2008 hierzu erstellten ergänzenden Stellungnahme eine BK-bedingte MdE um 30 v.H. fest.

Aufg...

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