Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.

2. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

3. Vermutungswirkung: Eine Bedarfsgemeinschaft kann vermutet werden, wenn von denen in § 7 Abs. 3a SGB II genannten Merkmalen drei kumulativ vorliegen.

4. Ausschlusswirkung: Vom Bestehen einer Partnerschaft wird ausgegangen, wenn andere vergleichbare Lebensgemeinschaften ausgeschlossen werden können.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3, 3a, § 9 Abs. 1

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.03.2023; Aktenzeichen B 7 AS 43/23 BH)

 

Tenor

Die Urteile des Sozialgerichts Bremen vom 25. Oktober 2021 werden aufgehoben.

Die Klagen werden abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich in sechs zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren gegen die Rücknahme von Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeiträume von Januar bis März 2014, April bis September 2014, Oktober 2014 bis März 2015, April 2015 bis März 2016, April bis September 2016 sowie März 2017 und hieraus resultierende Erstattungsforderungen in Höhe von insgesamt 29.211,24 €. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob in den Streitzeiträumen eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit dem Mitbewohner N. (im Folgenden: H) bestand.

Die im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II stehende, 1989 geborene Klägerin bezog mit ihren 2007 und 2011 geborenen Kindern und dem 1988 geborenen H zum 1. Januar 2014 ein Reihenhaus unter der Anschrift O. P., Q.. Dieses Objekt hatte H von den Eigentümern, der Zeugin R. und ihrem Ehemann, angemietet. Bei dem Beklagten legte die Klägerin einen Mietvertrag vor, welcher sie als Mieterin und H als Vermieter auswies, wobei als Adresse des H angegeben wurde: S. T., U.. Tatsächlich war H zum Zeitpunkt des angegebenen Mietvertragsschlusses (11. Oktober 2013) bei der Mutter der Klägerin (V. W., X.) gemeldet. Unter dieser Adresse hatte er auch den Mietvertrag mit den Hauseigentümern R. geschlossen. Die Bruttowarmmiete betrug nach dem bei dem Beklagten vorgelegten Mietvertrag 614 € und war auf ein Konto des H bei der Sparkasse Y. zu zahlen. Mit Schreiben vom 9. November 2013 wandte sich H an den Beklagten und bat darum, die vereinbarte Kaution in Höhe von 1.200 € direkt auf sein Konto zu zahlen. Der Beklagte bewilligte der Klägerin ein entsprechendes Darlehen und zahlte den Betrag auf das Konto des H. In ihrem am 5. März 2014 eingegangenen Weiterbewilligungsantrag gab die Klägerin an, dass in ihrem Haushalt zwei weitere Personen lebten. Den Umstand, dass neben den beiden Kindern auch H in dem Haus wohnte, verschwieg sie. Der Beklagte bewilligte der Klägerin und den Kindern in der Folgezeit Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des in dem vorgelegten Mietvertrag ausgewiesenen Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von 614 € monatlich. Ferner berücksichtigte er einen Mehrbedarf für Alleinerziehende und entrichtete für die Klägerin Pflichtbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Einen Vorläufigkeitsvorbehalt enthielten die hier streitbefangenen Bescheide nicht. Die Klägerin hatte mit ihren Unterschriften unter den Weiterbewilligungsanträgen die Richtigkeit ihrer Angaben bestätigt und sie war darüber belehrt worden, dass unrichtige und unvollständige Angaben zu einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren führen können.

Mit Schreiben vom 22. September 2016 wandte sich H, welcher sich zum 31. März 2014 in den O. P., Q., umgemeldet hatte, erneut unter der Anschrift S. T., U., an den Beklagten und teilte mit, dass die Klägerin ihn wegen einer von dem Beklagten angeforderten Betriebskostenabrechnung angesprochen habe. Soweit in dem Mietvertrag Vorauszahlungen auf die Betriebskosten vorgesehen seien, handele es sich um einen Fehler. Da andere Mietobjekte in der Vergangenheit so vermietet worden seien, sei das Kreuz „nach System automatisch gesetzt“ worden. Es sei allerdings mit der Klägerin mündlich vereinbart, dass die Betriebskosten als Pauschale gezahlt würden, um „jegliche Aus- und Nachzahlungskomplikationen zwischen Mieter und Vermieter zu vermeiden.“

Im September 2015 und im Juli 2016 erschienen in der örtlichen Presse Zeitungsartikel über die namentlich genannte Klägerin, die sich als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern trotz mangelnder Unterstützung durch das G. eine Weiterbildung in ihrem Traumberuf als Mediengestalterin erkämpft habe, diese Weiterbildung jetzt aber wegen eines fehlenden Hortplatzes für ihren Sohn womöglich abbrechen müsse.

Anfang November 2016 ging bei dem Beklagten ein an das Amt Z. adressiertes anonymes Schreiben vom 20. Oktober...

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