Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Lackierer. Maler. Zungenrandkarzinom. Karzinom des unteren Rachenraums. polyzyklisch aromatische Kohlenwasserstoffe
Orientierungssatz
Es bestehen keine hinreichend gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass die Tätigkeit eines Malers und Lackierers "generell" mit einem erhöhten Krebsrisiko des Rachenraums verbunden ist.
Tatbestand
Die Kläger begehren Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin und des Vaters des Klägers Folge einer Berufskrankheit (BK) oder einer von der Beklagten wie eine BK zu entschädigenden Krankheit ist.
Die Kläger sind die Hinterbliebenen des 1941 geborenen und 1989 verstorbenen Versicherten S Sch. Der Versicherte war seit 1955 insgesamt über 20 Jahre als Maler und Lackierer beschäftigt. In den Jahren 1962 bis 1968 und seit 1974 arbeitete er bei der Fa. E S Industrieanstriche GmbH, K (vgl. die Auskunft dieses Unternehmens vom 7. Juni 1989 und den Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten W vom 29. April 1994). Von 1969 bis 1974 war der Versicherte in der Schuhfabrik M GmbH, N, beschäftigt. 1982 wurde bei ihm ein Zungenrandkarzinom mit Ausdehnung in den unteren Rachenraum diagnostiziert. Nach Zungenteilresektion, radikaler Neck-dissection links, intraarterieller Chemotherapie und postoperativer Bestrahlung (Krankenbericht vom 10. September 1982, Arztbriefe des Prof. Dr. H im Universitäts-Krankenhaus E vom 3. und 12. November 1982) blieb der Versicherte bis 1988 rezidivfrei. In diesem Jahr kam es zu einem Rezidiv im Bereich des unteren Rachenraums (ausgedehntes Tumorrezidiv im Hypopharynx links), an dessen Folgen der Versicherte im März 1989 verstarb (Krankenberichte vom 25. Oktober 1988 und 21. März 1989). Noch im selben Monat beantragte die Klägerin die Zahlung von Witwenrente, weil der Tod ihres Ehemannes Folge einer BK sei. Auf diesen Antrag holte die Beklagte Auskünfte über die Beschäftigungsverhältnisse des Versicherten beim Malermeister N -- K/O (Beschäftigungszeit 1. April 1955 bis 22. Dezember 1958) vom 30. Mai 1990, beim Malermeister J -- Bad G (Beschäftigungszeit 9. März bis 12. Dezember 1959 und 24. März bis 23. September 1960) vom April 1990, beim Malermeister M -- K (Beschäftigungszeit 1. Oktober bis 23. Dezember 1960 und 1. Januar bis 23. Dezember 1961) vom März 1990, beim Malermeister A -- L/R (Beschäftigungszeit 1. Februar bis 26. März 1965) und beim Malermeister S -- K (Beschäftigungszeit 4. Juni bis 16. August 1974) vom April 1990 ein. Danach verrichtete der Versicherte in diesen Unternehmen "übliche" Maler- und Lackiererarbeiten. Die Fa. S GmbH teilte in ihrem Schreiben vom 7. Juni 1989 mit, der Versicherte habe bis 1982 als Vorarbeiter sämtliche Maler- und Fußbodenarbeiten, Industrieanstriche, Strahlarbeiten und in geringem Umfang Spritzverzinkungsarbeiten ausgeführt. Seit 1984 habe er als Vorarbeiter im Vollwärmeschutzsektor gearbeitet. Er sei mit Dämmarbeiten an Hausfassaden befasst gewesen. Die Beklagte ermittelte auf Anregung des Gewerbearztes Dr. S (vgl. seine Stellungnahme vom 30. Juli 1990) die Inhaltsstoffe der vom Versicherten verwendeten Produkte und ihre Anwendung in der Beschäftigungszeit bei der Fa. S GmbH (vgl. im Einzelnen den Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten W vom 5. November 1990). Danach beauftragte sie auf Vorschlag des Gewerbearztes den Direktor des Instituts für Hygiene und Arbeitsmedizin des Universitätsklinikums E Prof. Dr. N mit der Erstellung des arbeits-medizinischen Gutachtens vom 10. Dezember 1991.
Prof. Dr. N und Dr. P stellten in ihrem Gutachten die kanzerogen wirkenden Stoffe, gegenüber denen der Versicherte exponiert war, zusammen: Asbest, chlorierte Biphenyle (PCB), Chlorparaffin, Chlortoluol, Dichlormethan, Formaldehyd, Holzstäube, Pyrolyseprodukte, Tetrachlormethan, Zinkchromat. Einen Zusammenhang der Tumorerkrankung des Versicherten mit diesen gefährlichen Arbeitsstoffen vermochten die Gutachter jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen: Zwar sei bis Anfang der 80er Jahre Asbest in einigen Produkten mit einem Anteil von bis zu einem Fünftel enthalten gewesen. Jedoch sei dieser Asbest relativ fest gebunden gewesen, so dass eine inhalative Aufnahme praktisch auszuschließen sei. Es komme allenfalls eine Aufnahme durch verschmutzte Hände in Frage, die von ihrem Umfang eine orale Kanzerogenese kaum begründen könne. Dieses gelte auch für pyrolyseprodukthaltige Arbeitsstoffe, da diese nicht heiß verarbeitet worden seien. Über chlorierte Biphenyle, Chlorparaffin und Dichlormethan lägen keine Hinweise für ein karzinogenes Potential im Bereich der Mundhöhle bei Menschen vor. Des Weiteren sei der Versicherte gegenüber einer Vielzahl von Lösungsmitteln exponiert gewesen. Diese Exposition gehe jedoch nicht mit einem erhöhten karzinogenen Risiko einher. Zwar werde in einigen epidemiologis...