Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. Morbus Parkinson. Halogenkohlenwasserstoff. epidemiologische Evidenz. Gruppentypik
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung einer Morbus-Parkinson-Erkrankung bei einem Stereotypeur und Formvorbereiter, der einer Halogenkohlenwasserstoffexposition ausgesetzt war, als Berufskrankheit gem. BKV Anl 1 Nr 1302, wenn noch keine epidemiologischen Studien bzgl. der Gruppentypik vorliegen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Ziff 1302 ("Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe") der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der 1934 geborene Kläger war seit Mai 1950 bei der Großdruckerei F in H zunächst als Stereotypeur und ab 1968 bis zu seinem Ausscheiden aus der Firma im Dezember 1972 auch als Formvorbereiter beschäftigt. Danach war er bei der LVA H als Verwaltungsangestellter tätig. Seit dem 22. Dezember 1988 bezieht er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Nach seinen Angaben im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht (SG) am 10. Januar 1989 benutzte er bei seiner Tätigkeit in der Firma F beim Reinigen der Druckplatten von Kleberesten ua die Reinigungsflüssigkeiten "Opinol" und "Formol", die beide Trichlorethylen (im folgenden Tri) beinhalteten. Tri kam auch beim Säubern der Klischees von Farbresten zum Einsatz, ebenso wie beim Entfernen von Farbresten von erkalteten Druckformen.
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen über die BK eines Arbeitskollegen zeigten der Kläger und der staatliche Gewerbearzt Dr S im Herbst 1985 bei der Beklagten an, dass die Erkrankung des Klägers an Morbus Parkinson wahrscheinlich wesentlich auf seine Exposition gegenüber Tri bei seiner Arbeit in der Firma F zurückzuführen sei. Die Beklagte zog daraufhin Berichte der Neurologischen Klinik der MHH und einen Kurentlassungsbericht des Alpensanatoriums bei und recherchierte bei der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers die Zusammensetzung der hauptsächlich verwendeten Reinigungsmittel Formol und Opinol. Prof Dr K erstattete sodann unter dem 3. Dezember 1986 ein Zusammenhangsgutachten unter Auswertung der von Dr S geschilderten Betriebsverhältnisse und der Behandlungsberichte. Prof Dr K ging davon aus, dass der Kläger neben Tri auch gegenüber Blei exponiert war. Es handele sich im übrigen bei dem Kläger um eine rechtsbetonte Parkinson-Symptomatik, die sich erstmals 1982 mit einer Bewegungsschwäche des rechten Armes und einer andauernden Heiserkeit manifestiert habe. Nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft finde man beim Parkinson-Syndrom eine Zelldegeneration in der sog Substantia nigra (bestimmte Hirnregion), die Auswirkungen auf die Motorik sowie psychische Begleitveränderungen mit sich bringe. Da die vom Kläger verwendeten organischen Lösungsmittel lipophile (fettlösende) Eigenschaften und damit eine Affinität zum Nervengewebe aufwiesen, sei eine Schädigung von Hirngewebe mit der Folge des Auftretens einer Parkinson-Erkrankung durch Einflüsse von Tri bzw Einzelbestandteilen der anderen Lösemittelgemische durchaus denkbar. Gesichert sei indessen lediglich ein Zusammenhang zwischen Morbus Parkinson und Mangan-Exposition; vereinzelt beschrieben werde der Zusammenhang einer Parkinson-Erkrankung bei Kohlenmonoxyd- bzw Schwefelkohlenstoffvergiftung und bei Exposition gegenüber Pestiziden. Insgesamt gelangte Prof Dr K zu dem Ergebnis, dass seines Wissens über einen Zusammenhang zwischen dem in der Industrie viel verwendeten Tri und dem Auftreten einer Parkinson-Erkrankung bisher noch nichts berichtet worden sei. Ebenso fehle es an Erkenntnissen über die Wechselwirkungen zwischen Tri und Blei.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 8. Mai 1987 die Anerkennung der Parkinson-Erkrankung des Klägers als BK ab, nachdem auch Dr S in seiner Stellungnahme als staatlicher Gewerbearzt vom 19. Februar 1987 den Erwägungen des Gutachters im Wesentlichen zugestimmt hatte. Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte noch eine Stellungnahme des Chemikers und Allgemeinmediziners Dr M vom 29. Juni 1987 ein, der bestätigte, dass lediglich ein Zusammenhang zwischen einer Erkrankung an Morbus Parkinson und einer Exposition gegenüber Schwefelkohlenstoff, Mangan und Kohlenmonoxyd gesichert sei. Für Lösemittel gebe es keine entsprechenden Erkenntnisse. Im übrigen würden Benzinkohlenwasserstoffe (zB n-Hexan), die ebenfalls vom Kläger benutzt worden seien, nach derzeitigen wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen in erster Linie zu Polyneuropathien führen. Eine solche Erkrankung sei beim Kläger nicht gegeben.
Nachfolgend legte der Kläger eine Stellungnahme von Prof Dr A vom 20. Juli 1987 vor, wonach es in der Literatur durchaus Hinweise gebe, dass eine Parkinson-Erkrankung durch Tri verursacht werden könne und der staatliche Gewerbearzt Dr S führte abweichend zu seinen Stellungnahmen vom 11. August 1987 aus, dass die rechtsbetonte Parkinson-Symptomatik des Klägers durch seine ...