Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. Anscheinsbeweis. Lärmschwerhörigkeit
Orientierungssatz
1. Der Anscheinsbeweis ist bei der Feststellung des Kausalzusammenhangs bei Berufskrankheiten nicht ausgeschlossen. Er erfordert jedoch gesicherte Erfahrungsgrundsätze, die es rechtfertigen, ihn bei einem typischen Geschehensablauf anzuwenden (vgl BSG vom 18.11.1997 - 2 RU 48/96 = HVBG-INFO 1998, 1178).
2. Allein die generelle Eignung einer Lärmexposition, möglicherweise die Haarzellen des Innenohrs zu schädigen, genügt nicht, um einen Zusammenhang zwischen dem Hörschaden und der Lärmeinwirkung mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit bejahen zu können (vgl LSG Bremen vom 19.6.1986 - L 2 U 15/83 = Breithaupt 1987, 454). Für die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit ist vielmehr der Nachweis einer Innenohrhaarzellschädigung erforderlich.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Schwerhörigkeit als Berufskrankheit (BK) und die Zahlung von Verletztenrente.
Der 1936 geborene Kläger war die überwiegende Zeit seines Berufslebens (1952 bis 1989) als Schlosser und auf anderen Arbeitsplätzen einer beruflichen Lärmbelastung ausgesetzt, die geeignet ist, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen (vgl die Stellungnahmen der Technischen Aufsichtsdienste der Nordwestlichen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft vom 4. und 10. November 1987, der Beklagten vom 15. Juni 1992 sowie der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft vom 13. Juli 1992). Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. H erstattete die Ärztliche Anzeige über eine BK vom 5. März 1987, in der er ausführte, der Kläger leide an einer beruflich verursachten beidseitigen Schwerhörigkeit. Demgegenüber teilte der Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. D in seinem Befundbericht vom 27. Mai 1987 mit, daß eine pantonale, dh alle Frequenzen umfassende Schwerhörigkeit vorliege. Des weiteren sprächen auch die überschwelligen Tests sowie das Sprachaudiogramm gegen das Vorliegen eines cochleären Haarzellschadens. Die Schwerhörigkeit sei deshalb nicht unbedingt allein auf den Lärmeinfluß zurückzuführen. Der Kläger hatte in dem Fragebogen vom 6. April 1987 angegeben, seit etwa 1970 unter Schwerhörigkeit zu leiden. Seit 1978 trage er Gehörschutz. Auf Veranlassung der Nordwestlichen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft erstattete Dr. W das Hals-Nasen-Ohrenärztliche Gutachten vom 11. Januar 1988. Dr. W schloß aufgrund des pantonalen Hörverlustes um 40 dB in allen Frequenzen sowie des nicht durchgängig gelungenen Nachweises eines positiven Recruitments eine lärmtraumatische Entstehung der Schwerhörigkeit aus. Als Lärmschaden komme allenfalls der Hochtonanteil der Schwerhörigkeit infrage. Dieser sei jedoch mit 45 bzw 50 dB so gering ausgeprägt, daß ein möglicher lärmtraumatischer Anteil für das Sprachgehör bedeutungslos sei und somit die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht meßbar mindere. Die berufsbedingte Lärmeinwirkung könne deshalb nicht die wesentliche mitwirkende Ursache an der Entstehung der Schwerhörigkeit, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers insgesamt um 20 vH mindere, sein. Nachdem der Gewerbearzt Dr. S dieser Beurteilung zugestimmt hatte (Stellungnahme vom 24. März 1988), wurden Entschädigungsleistungen bindend abgelehnt.
Zum Ende des Jahres 1989 schied der Kläger aus der Lärmexposition aus. Danach bezog er zunächst Leistungen vom Arbeitsamt, später von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover. Dr. S führte in seinem auf Veranlassung der LVA erstatteten Gutachten vom 12. November 1991 aus, im Vordergrund der Gesundheitsstörungen, an denen der Kläger leide, stünden die Folgen eines chronischen psycho-physischen Erschöpfungszustandes mit massiven funktionellen Beschwerden und Hinweisen auf eine herzphobische Entwicklung im Zusammenhang mit einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur (vgl auch das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 12. Juni 1992).
Nachdem Dr. H wegen zunehmender Hörverschlechterung des Klägers die weitere Ärztliche Anzeige über eine BK vom 14. Februar 1992 erstattet hatte, ließ die Beklagte den Kläger von dem Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Dr. K untersuchen. Dr. erhob die Diagnose einer hochgradigen, bis an Taubheit grenzenden sensori-neuralen Schwerhörigkeit, bei der alle Frequenzbereiche fast gleichmäßig betroffen seien. In seinem Gutachten vom 6. Mai 1993 wies er darauf hin, daß sich eine Lärmschwerhörigkeit im wesentlichen im Hochtonbereich auspräge. Durch ein Übergreifen auf den Mitteltonbereich resultiere ein Schrägabfall der Tonschwellenkurve. Bei dem Kläger liege jedoch eine sensori-neurale Schwerhörigkeit vor, die sich mit extremen Verlusten vom Tief- bis Hochtonbereich repräsentiere. Solange im Befundbild kein Anhaltspunkt für einen lärmbedingten Gehörschaden zu finden sei, sei eine lärmbedingte Schwerhörigkeit abzulehnen. Hinzu komme, daß auch die extreme Hörverlustzunahme in den letzten Jahren gegen eine lärmbedingte Schwer...