Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges nach § 1a Nr 1 AsylbLG. restriktive Anwendung. Einreisemotiv. Indizien. Einzelfallprüfung. Einreise. Zweck. Leistungsbezug. Prägende Bedeutung. Beweislast
Leitsatz (redaktionell)
1. Von einer Einreise zum Zweck des Leistungsbezugs kann ausgegangen werden, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialleistungen besteht.
2. Prägende Bedeutung kommt dem Umstand, Leistungen zu beziehen, dann zu, wenn er für den Ausländer, neben anderen Gründen, so wesentlich war, dass er ansonsten nicht eingereist wäre.
3. Die nur in das Wissen des Ausländers gestellten Gründe für seine Ausreise muss dieser substantiiert und widerspruchsfrei darlegen, um der Behörde und auch dem Gericht die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob der Ausschlusstatbestand erfüllt ist. Erst dann kann unter Berücksichtigung der die Behörde treffenden (objektiven) Beweislast die Beweislosigkeit ggf. die Anwendung des § 1a Nr. 1 AsylbLG verwehren.
4. Die Feststellung, dass wirtschaftliche Gründe prägendes Einreisemotiv waren, reicht zur Annahme einer Einreise zur Erlangung von Leistungen allerdings nicht aus, da sich die Vorstellung von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht auf die Erlangung staatlicher Unterstützungsleistungen beziehen muss.
5. Kann der Ausländer bei der Einreise nicht davon ausgehen, in absehbarer Zeit eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können, kann auch dies ein Indiz für die Einreise zur Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG sein.
6. Wegen der weitgehenden Konsequenzen der Leistungskürzung ist § 1a AsylbLG restriktiv anzuwenden.
Orientierungssatz
1. Die Regelung des § 1a Nr 1 AsylbLG entspricht im Wesentlichen der Vorschrift des § 23 Abs 3 SGB 12, so dass zur Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen die hierzu ergangene Rechtsprechung und einschlägige Literatur herangezogen werden kann.
2. Von einer Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges kann ausgegangen werden, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialleistungen besteht (vgl LSG Essen vom 23.2.2007 - L 20 B 61/06 AY). Sind mehrere Motive denkbar oder gegeben, muss das prägende Motiv des Asylbewerbers im Zeitpunkt der Einreise die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG gewesen sein. Es genügt nicht, dass der Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG beiläufig erfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird (vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 = BVerwGE 90, 212 = BVerwG FEVS 43, 113 zur Vorschrift des § 120 BSHG).
3. Die Feststellung, dass wirtschaftliche Gründe prägendes Einreisemotiv waren, reicht zur Annahme einer Einreise zur Erlangung von Leistungen nicht aus.
4. Wegen der weitreichenden Konsequenzen der Leistungskürzung, ist § 1a AsylbLG restriktiv anzuwenden. Die erforderliche Einzelfallprüfung setzt eine vollständige Sachverhaltsermittlung voraus. Regelhaft ist es daher erforderlich, die Asyl- und Ausländerakten beizuziehen. Insbesondere wenn es um die Glaubhaftigkeit einzelner Angaben und die Glaubwürdigkeit der betroffenen Ausländer geht, hält der Senat auch eine durch den Dolmetscher vermittelte Befragung durch das Gericht für erforderlich. Dabei ist zu beachten, dass die Befragung durch Asyl- und Ausländerbehörden primär asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragen im Blick hat. Eine persönliche Befragung der Asylbewerber, auch bezüglich der Frage, welche Vorstellungen sie sich hinsichtlich der Sicherung ihres Lebensunterhaltes gemacht haben, erscheint im Einzelfall geboten.
5. Ein Indiz für die Einreise zur Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG kann auch sein, wenn der Ausländer bei der Einreise nicht davon ausgehen kann, in absehbarer Zeit eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können, etwa, weil er über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, der deutschen Sprache nicht mächtig ist sowie keinerlei Kontakte zu einem potentiellen Arbeitgeber aufgenommen hat.
Normenkette
AsylbLG § 1a Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nrn. 4-6; SGB XII § 23 Abs. 3
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 16.06.2008 abgeändert. Den Klägern wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und ab dem 03.01.2008 Rechtsanwältin M aus C beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Beklagte den Klägern zu Recht lediglich gekürzte Leistungen gemäß § 1a Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gewährt.
Die 1977 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der 2002 und 2001 geborenen Kläger zu 2) und 3). Die Kläger sind aserbaidschanische Staats- und Volkszugehörige islamischen Glaubens. Sie reisten mit dem Ehemann der Klägerin zu 1) und dem Vater der Kläger zu 2) und 3) ihren Angaben zufolge am 16. Januar 2006 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 17. Januar 2006 ihre Anerkennung als Asylberecht...