Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des Erlasses eines Beitragssummenbescheides bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers - Aussetzung der Vollstreckung wegen unbilliger Härte
Orientierungssatz
1. Hat der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und kann die Beitragspflicht bzw. -höhe nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand vom Versicherungsträger festgestellt werden, so ist dieser nach § 28f Abs. 2 SGB 4 zum Erlass eines Beitragssummenbescheides nach Schätzung berechtigt.
2. Das Vollzugsrisiko bei einem Beitragsbescheid ist nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG grundsätzlich auf den Adressaten verlagert. Die Aussetzung der Vollziehung wegen Vorliegens einer unbilligen Härte beim Beitragsschuldner nach § 86a Abs. 3 S. 3 SGG setzt voraus, dass dieser glaubhaft macht, seinen Geschäftsbetrieb bei Vollstreckung der Beitragsschuld nicht mehr fortsetzen zu können.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8.10.2019 geändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 18.6.2019 gegen den Bescheid vom 16.5.2019 angeordnet, soweit die Antragsgegnerin Beiträge nebst Säumniszuschlägen für die Zeiträume vom 1.5. bis 31.5.2016 und vom 1.7. bis 31.7.2016 unter der Bezeichnung "Umsatzgruppe - Abdeckrechnungen C" nachfordert. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Von den Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens tragen die Antragstellerin 85 % und die Antragsgegnerin 15 %. Der Streitwert wird für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren auf 55.201,05 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 8.10.2019 ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit ist der Beschluss des SG zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 18.6.2019 gegen den Bescheid vom 16.5.2019 anzuordnen. Im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine - wie hier erfolgte - Entscheidung über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten haben gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.
Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (hierzu unter 1.) oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (hierzu unter 2.).
1.) Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 12.4.2017 - L 8 R 987/15 B ER - juris Rn. 2 f.; Beschl. v. 11.3.2016 - L 8 R 506/14 B ER - juris Rn. 51 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen, da dessen Erfolg nur insoweit, nicht jedoch ansonsten überwiegend wahrscheinlich ist.
Rechtsgrundlage des aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheides vom 16.5.2019 und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung einschließlich der Säumniszuschläge ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV). Im Rahmen der Prüfung werden gegenüber den Arbeitgebern Verwaltungsakte (sog. Prüfbescheide) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide erlas...