Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgenabwägung bei der Aussetzung der Vollstreckung aus einer einstweiligen Anordnung über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen
Orientierungssatz
1. Bei den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, deren Gewährung eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist.
2. Hat das Sozialgericht den Grundsicherungsträger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen verpflichtet, so hat sich eine Entscheidung zur Aussetzung der Vollstreckung an den Folgen der Entscheidung für den Hilfesuchenden zu orientieren. Dabei ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Nachteile, die bei einem Entzug dieser Leistungen entstehen, die Nachteile überwiegen, die einem Leistungsträger durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.
3. Eine Aussetzung der Vollstreckung kommt damit nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Normenkette
SGG § 199 Abs. 2 S. 1; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Tenor
Der Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Köln vom 13.03.2013 wird abgelehnt.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller zu erstatten.
Gründe
Der zulässige Antrag (§ 199 Abs. 2 Satz 1 SGG) ist unbegründet.
Im Rahmen der bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG zu treffenden Abwägung der Interessen der Beteiligten überwiegt das Interesse der Antragsteller an der Vollziehung der Entscheidung das Interesse des Antragsgegners daran, nicht vor Abschluss des Instanzenzugs des Eilverfahrens Leistungen erbringen zu müssen.
Das Sozialgericht hat den Antragstellern Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zugesprochen. Hierbei handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, deren Gewährung eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die dem Schutz der Menschenwürde dient (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). In derartigen Fällen hat sich die Entscheidung zur Aussetzung der Vollstreckung wesentlich und maßgeblich an den Folgen der Entscheidung für den Hilfesuchenden zu orientieren. Im Hinblick auf die existenzsichernde Bedeutung der erstinstanzlich zugesprochenen Leistungen ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Nachteile, die bei einem Entzug dieser Leistungen entstehen, die Nachteile überwiegen, die einem Leistungsträger durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen. Daher kommt eine Aussetzung der Vollstreckung nur in Ausnahmefällen in Betracht (Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.02.2006, L 10 AS 17/06 ER; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 199 RdNr. 8).
Ein Ausnahmefall - etwa eine greifbare Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung - (zur Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bei Entscheidungen nach § 199 Abs. 2 SGG vergl. BSG, Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 199 RdNr. 8) liegt hier nicht vor.
Daher kann hier im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung dahingestellt bleiben, ob - insoweit noch über die Ausführungen des Sozialgerichts zum Vorliegen der Voraussetzungen zum Erlass der einstweiligen Anordnung hinausgehend - der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für den vorliegenden Fall - rumänische Staatsangehörige - mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union vereinbar ist (zweifelnd die Senatsrechtsprechung, vergl. Beschluss vom 17.05.2011 - L 6 AS 356/11 B ER; Beschluss vom 09.11.2012 - L 6 AS 1324 B ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 77 SGG).
Fundstellen