Entscheidungsstichwort (Thema)
An den Rechtsanwalt aus der Staatskasse für dessen Tätigkeit im einstweiligen Rechtsschutz zu zahlende Vergütung
Orientierungssatz
1. Der Anfall einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen.
2. Eine fehlerhaft angesetzte fiktive Terminsgebühr kann durch die Erledigungsgebühr nach Nrn. 1002, 1005, 1006 VV RVG ersetzt werden, weil insoweit lediglich ein zulässiger Austausch von Anspruchsgrundlagen vorliegt.
3. Der Anfall der Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG setzt eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Anwalts voraus. Eine solche liegt u. a. dann vor, wenn der Rechtsanwalt zum Zweck des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue, bisher noch nicht bekannte Beweismittel beibringt.
4. Handelt es sich bei der konkreten Streitsache des Eilrechtsschutzes um einen Durchschnittsfall, so ist die Erledigungsgebühr in Höhe der Mittelgebühr von 190.- €. festzusetzen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 04.01.2013 geändert. Die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Antragstellers wird auf 659,26 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet.
1. Über die Beschwerde entscheidet der Senat mit drei Berufsrichtern, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)). Die Rechtssache wirft schwierige Fragen auf (Austausch von Gebührenpositionen im Erinnerungsverfahren; Voraussetzungen einer Erledigungsgebühr im einstweiligen Rechtsschutzverfahren), mit den sich der Senat noch nicht befasst hat.
2. Antragsteller und Beschwerdeführer ist in Verfahren, die die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter Prozesskostenhilfe betreffen, der Rechtsanwalt selbst. Beschwerdegegner ist in diesen Verfahren die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe begünstigte Partei ist am Verfahren nicht beteiligt (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 10.02.2011 - L 9 AS 1290/10 B -, juris Rn. 6, m.w.N.).
3. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Das Rechtsmittel der Beschwerde ist gegen Erinnerungsentscheidungen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG gegeben und nicht durch § 178 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder § 197 Abs. 2 SGG ausgeschlossen. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschl. v. 20.12.2007 - L 9 B 38/07 -), die von nahezu allen Senaten des LSG Nordrhein-Westfalen geteilt wird (vgl. statt vieler den Beschluss des 19. Senats vom 11.12.2009 - L 19 B 281/09 AS -, juris Rn. 25 m.w.N.), fest, wonach es sich bei §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG um jüngere und speziellere Regelungen handelt, die nach allgemeinen Grundsätzen der Normenkollision gegenüber §§ 178, 197 Abs. 2 SGG vorrangig sind. Die systematischen Bedenken der vereinzelt vertretenen Gegenauffassung (vgl. Beschluss des 10. Senats vom 02.05.2011 - L 10 P 112/10 B -, juris Rn. 6 ff.), teilt der Senat nicht.
b) Die Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft, weil der Beschwerdewert von 200 Euro überschritten wird. Der Antragsteller wendet sich im Beschwerdeverfahren allein dagegen, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts (SG) und das SG in dem angefochtenen Erinnerungsbeschluss die vom Antragsteller im Kostenfestsetzungsantrag vom 26.10.2010 angesetzte fiktive Terminsgebühr gemäß Ziffer 3106 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum RVG sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer (Ziffer 7008 VV RVG) nicht anerkannt haben. Gegen die Anrechnung der Beratungshilfe auf die Prozesskostenhilfevergütung in Höhe von 66,64 Euro hat der Antragsteller weder vor dem SG noch in seiner Beschwerdebegründung Einwände geltend gemacht. Da der Antragsteller eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 200,- Euro angesetzt hat, beträgt der Wert des Beschwerdegegenstandes zuzüglich der insoweit auch zu berücksichtigenden Umsatzsteuer (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.09.2011 - L 20 SO 424/11 B -, juris Rn. 18 f. m.w.N. auch zur Gegenauffassung) insgesamt 238,- Euro.
c) Die Beschwerde ist am 17.01.2013 nach Maßgabe von §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG fristgemäß innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses des SG vom 04.01.2013 am 10.01.2013 eingelegt worden.
d) Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 17.01.2013, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 RVG).
4. Die Beschwerde ist auch überwiegend begründet. Dem Antragsteller steht gegenüber der Staatskasse entgegen der Auffassung des SG ein um 226,10 Euro höherer Vergütungsanspruch zu, so dass die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 659,26 Euro festzusetzen ist.
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gese...