Entscheidungsstichwort (Thema)
Präklusion im Begehungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Wenn die MDK-Prüfung im Begehungsverfahren vor Ort stattfindet, kann keine Präklusion eintreten, denn diese gilt nur für die Prüfung im schriftlichen Verfahren. Eine erweiterte Auslegung oder eine Analogie scheiden ebenfalls aus. Bei einer hier vorliegenden normvertraglichen Regelung ist schon die generelle Möglichkeit einer Analogiebildung fraglich. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen einer Analogiebildung nicht vor.
Normenkette
PrüfvV § 7 Abs. 2 S. 6
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 06.12.2021 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 6.367,91 € festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit steht, ob die Präklusion nach der Prüfungsverfahrensvereinbarung vom 03.02.2016 (PrüfvV 2016) auch im sog Begehungsverfahren eintritt.
Die Klägerin ist ein Plankrankenhaus (iSd § 108 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫) . Dort wurde vom 31.05.2018 bis 10.06.2018 Herrn W. M. (* 00.00.1960; fortan: Versicherter) , der bei der Beklagten gegen Krankheit versichert war, wegen Stichverletzungen stationär behandelt. Für diese Krankenhausbehandlung berechnete die Klägerin der Beklagten insgesamt 10.825,28 EUR (Rechnung vom 28.09.2018) . Dabei kodierte sie als Nebendiagnose unter anderem einen Kaliummangel (Hypokaliämie, ICD-10-GM E87.6) . Die Beklagte beglich diese Rechnung zunächst vollständig, beauftragte zugleich aber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Abrechnungsprüfung, konkret mit einer Kopierprüfung hinsichtlich der Nebendiagnosen. Der MDK teilte der Klägerin in seiner Prüfanzeige (vom 28.09.2018) hierzu mit, dass ein Begehungsverfahren vereinbart worden sei, und bat die Klägerin, "die Krankenakte zur Verfügung [zu halten]." Nach Prüfung vor Ort kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die Anforderungen an die Kodierung der Nebendiagnose E87.6 nicht erfüllt seien. Wegen der übrigen Nebendiagnosen hatte er keine Beanstandungen. Weiter teilte der MDK mit, es habe "Konsens bezüglich gutachterlicher Bewertung" bestanden (gutachtliche Stellungnahme Dr. V. vom 25.02.2019) .
Die Klägerin schlug (am 07.03.2019) ein Nachverfahren auf Basis der bis zum Ende der MDK-Begutachtung übermittelten Daten und Unterlagen vor. Dies lehnte die Beklagte ab.
Gestützt auf die Stellungnahme des MDK forderte die Beklagte von der Klägerin 6.367,91 EUR zurück. Nachdem die Klägerin diese Forderung nicht beglich, verrechnete die Beklagte die geltend gemachte Erstattungsforderung mit einem weiteren Vergütungsanspruch der Klägerin aus einem anderen Behandlungsfall (dortige Rechnung vom 31.03.2019, Nr 2019313161; Zahlungsavis vom 12.04.2019) .
Die Klägerin hat daraufhin am 23.12.2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben.
Sie hat behauptet, der MDK habe eine Begründung für die Streichung der Nebendiagnose im Rahmen der Fallbesprechung vor Ort nicht angegeben. Auch die Angabe des MDK, die Begutachtung sei im Konsens erfolgt, sei falsch.
Im Klageverfahren hat die Klägerin ihre Patientenakte einschließlich Laborbefunden sowie einen Medikamentenplan vorgelegt. Auf Grundlage dieser Unterlagen hat die Beklagte eine erneute gutachtliche Stellungnahme des MDK (Dr. V. vom 23.08.2021) eingeholt. Diese lautet auszugsweise wie folgt:
"Die nun im Sozialgerichtsverfahren vorliegende Krankenakte zeigt laborchemische Parameter vom 07.06.2018 mit einem um 5:44 Uhr gemessenen Kaliumwerte im Serum von 3,41 mmol/l bei einem Klinik-Referenzwert von 3,5-5,1 mmol/l. Auch ist anhand der Aktenlage belegt, dass daraufhin eine orale Kaliumssubstitution erfolgte. Bei Akzeptanz der nun vorliegenden Krankenakte wäre die Nebendiagnose E87.6 dementsprechend zu akzeptieren.
Zur Beurteilung herangezogen werden können gemäß PrüfvV jedoch nur Dokumente, die zum Zeitpunkt der Begutachtung am 25.02.2019 vorgelegen haben. Bei der am 25.02.2019 nach Durchsicht der Aktenlage erfolgten Fallbesprechung mit dem krankenhausverantwortlichen Medizincontroller wurde die Nebendiagnose E87.6 im Konsens, dh mit Einverständnis des Medizincontrollings, gestrichen, da die einen Kaliummangel belegenden Laborwerte von Seiten des Klinikverantwortlichen nicht demonstriert wurden."
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.367,91 EUR nebst zwei Prozentpunkten Zinsen über dem jeweils Basiszinssatz seit Rechtsähnlichkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Streichung der Nebendiagnose sei im Konsens erfolgt. Auch habe die Klägerin zwar ein Nachverfahren beantragt, jedoch ohne jedwede Begründung. Mit den erst im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen sei die Klägerin präkludiert.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 6.367,91 EUR nebst Zinsen iHv 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssat...