Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Kaunas. Zahlbarmachung von Ghettorente. Entgeltlichkeit. Verpflegung. Lebensmittelcoupons

 

Orientierungssatz

1. Zur Glaubhaftmachung einer Beschäftigung im Ghetto Kaunas von Juli 1941 bis September 1943 nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074).

2. Die Ausgabe von Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen ist als Gewährung von Sachbezügen, nicht als Geldleistung anzusehen (vgl LSG Essen vom 28.1.2008 - L 8 RJ 139/04).

3. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch abgegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (Entgegen BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R = SozR 4-5075 § 1 Nr 3).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.09.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin eine Altersrente zu gewähren hat. Umstritten ist insbesondere noch, ob für die Zeit von Juli 1941 bis September 1943 sog. Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen sind.

Die Klägerin ist am 00.00.1925 in L als deutsche Staatsangehörige geboren. Die deutsche Staatsangehörigkeit besaß sie nach ihren Angaben bis 1939. Sie ist jüdischen Glaubens, lebt seit März 1947 in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Sie ist als Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt für Schaden an Freiheit eine Entschädigung für den Zeitraum vom 15.08.1941 bis 01.05.1945 (Bescheid vom 20.12.1955), für Schaden an Körper und Gesundheit (Bescheid vom 22.01.1968) und für Schaden in der Ausbildung (Bescheide vom 15.06.1959 und 30.12.1965).

In ihren Entschädigungsverfahren schilderte die Klägerin im Rahmen einer eidesstattlichen Erklärung vom 09.04.1955 ihr Verfolgungsschicksal wie folgt:

"Ich kam im Juni 1941 ins Ghetto Kowno, dessen Judenältester Dr. F war. Ich habe dort an verschiedenen Stellen gearbeitet. Zuerst bei Entlausung, dann am Flugplatz und zuletzt beim Rüstungs-Kommando. Dort war ich bis zum Juli 1944. Im Juli 1944 wurde ich selbst, zusammen mit meiner Mutter nach Stutthof verschickt, während mein Vater zur selben Zeit nach Dachau gebracht wurde ..."

In einer eidesstattlichen Erklärung gab der Zeuge A X N am 09.04.1955 Folgendes an:

"Ich lernte S S geb. M im Ghetto Kowno kennen, wohin wir beide im Juli 1941 zwangsübersiedeln mussten und wo wir bis zum Juli 1944 zusammen waren ... Anfangs arbeitete ich bei der Umzäunung des Ghettos, später am Bahnhof beim Transport und zum Schluss, gemeinsam mit S S geb. M beim Rüstungs-Kommando ... Im Juli 1944 wurde das Ghetto Kowno liquidiert ..."

In seiner eidesstattlichen Erklärung vom 09.04.1955 bestätigte der Zeuge T M, dass die Klägerin und er im Juli 1941 gemeinsam in das errichtete Ghetto von Kowno hätten zwangsübersiedeln müssen, wo sie bis zum Juli 1944 beisammen gewesen seien.

Die Klägerin gab in ihrer Erklärung vom 03.05.1955 an, sich von Juni 1941 bis Juli 1944 im Ghetto Kowno aufgehalten zu haben. Am 10.12.1957 gab sie in einer eidlichen Erklärung an, im Ghetto und in Lagern von Juni 1941 bis 01.05.1945 inhaftiert gewesen zu sein.

In einer eidlichen Erklärung gab der Zeuge C H am 25.07.1965 an, dass die Klägerin und er im Zuge der Verfolgung beide ins Ghetto Kowno gekommen seien, wo sie gehungert und gefroren hätten und die schwersten Zwangsarbeiten hätten verrichten müssen.

Am 31.12.1975 stellte die Klägerin einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen und freiwillige Weiterversicherung, den die Beklagte mit Bescheid vom 27.03.1985 ablehnte.

Am 25.06.1998 beantragte die Klägerin eine Altersrente, die Anerkennung ihrer Arbeitszeiten im Ghetto als Beitragszeiten sowie die Zulassung zum Nachentrichtungsverfahren. Sie habe als Arbeiterin im Ghetto gearbeitet. Sie gab an: "Schwarzarbeit: Dienstmädchen bei deutscher Dienststelle - Flugplatz - Erdarbeit - Baustelle - Straßenfegen ... - KZ Stutthof - Arbeitslager Thorn - Strassburg - Laufgräben ausgehoben (47 Monate Zwangsarbeit)".

In einem bei der Beklagten am 29.06.1998 eingegangenen Schreiben der Klägerin vom 09.06.1998 wies sie darauf hin, von 1941 bis 1945 48 Monate Zwangsarbeit im Ghetto und KZ Kauen und KZ Stutthof geleistet zu haben.

In dem Rentenantragsformular gab die Kläger...

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