Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Kaunas. Zahlbarmachung von Ghettorente. Entgeltlichkeit. Verpflegung
Orientierungssatz
Zur Glaubhaftmachung einer Beschäftigung im Ghetto Kaunas von August 1941 bis September 1943 nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) und zur Frage, ob auch der Erhalt von Lebensmitteln, die kaum den notwendigen Lebensbedarf gedeckt haben können, als Entgelt iS des ZRBG ausreicht.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.07.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob Ghetto-Beitragszeiten für die Zeit von August 1941 bis September 1943 im Ghetto Kaunas berücksichtigt werden können.
Der Kläger ist am 00.00.1926 in Kaunas als litauischer Staatsangehöriger geboren. Er besaß die litauische Staatsangehörigkeit von 1926 bis 1940 und sodann bis 1972 die sowjetische. Seitdem ist er israelischer Staatsangehöriger. Im April 1972 wanderte er in Israel ein. Er ist jüdischen Glaubens.
Im Entschädigungsverfahren bei der Jewish Claims Conference (JCC) hinsichtlich einer Entschädigung aus dem Art. 2 - Fonds gab der Kläger am 01.03.1993 einen Aufenthalt im Ghetto Kaunas von Ende Juli 1941 bis Herbst 1943 und einen Aufenthalt im "ZAL Shanciai (bei Kaunas)" von Herbst 1943 bis Juli 1944 an. Seine Eltern und Schwester hätten die nationalsozialistische Verfolgung überlebt. Zu seinem Verfolgungsschicksal gab er des Weiteren Folgendes an:
"Einige Wochen nach Kriegsausbruch 1941 wurde ich mit meinen Eltern und Schwester ins Ghetto Kaunas eingewiesen. Dort musste ich Zwangsarbeit beim Militärflugplatz leisten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ende 1943 wurde ich in ein anderes Lager Shanciai überführt. Auch dort musste ich schwere Bauarbeiten leisten. "
Am 02.09.2002 stellte der Kläger auf Grundlage des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente. Im Rentenformantrag gab er am 21.11.2002 an, er habe von August 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Kaunas am Flugplatz Alexot Bauarbeiten verrichtet. Von August 1942 bis Dezember 1943 habe er im Ghetto Kaunas beim Heeresbau in Schanzen Bauarbeiten verrichtet. Zum Versicherungsverlauf gab der Kläger auf die Frage nach dem Arbeitsverdienst und dessen Höhe, Art und Umfang in Spalte 8 jeweils an: "nicht erinnerlich". Er gab weiter an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört zu haben.
Nach der Auskunft der Bezirksregierung Düsseldorf - Abt. Wiedergutmachung - vom 11.03.2003 liegt dort ein Entschädigungsvorgang betreffend den Kläger nicht vor.
Mit eidesstattlicher Erklärung vom 20.05.2003 erklärte der Kläger, er habe im August 1941 in das errichtete Ghetto übersiedeln müssen. Die Lebensbedingungen im Ghetto seien sehr schwer gewesen und es habe kaum Lebensmittel gegeben. Daher sei es dringend notwendig gewesen, einen Arbeitsplatz zu finden. Er sei für sein Alter sehr gut entwickelt gewesen und habe dann noch im August 1941 zur Arbeit am Flugplatz Alexot in Kaunas gehen können. Er sei bei Bauhilfsarbeiten beschäftigt worden und habe für seine Tätigkeit dort Lebensmittel und auch eine Mahlzeit bei der Arbeit bekommen. Die Arbeit sei ziemlich schwer gewesen und er habe morgens zur und abends von der Arbeit wieder zu Fuß gehen müssen. Im Juli 1942 sei es ihm gelungen, eine Arbeit - wieder Bauarbeiten - beim Heeresbau in Schanzen zu finden und er habe dann von August 1942 bis Dezember 1943 dort wieder Bauarbeiten verrichtet. Hier seien die Bedingungen insofern besser gewesen, als er für seine Arbeit Coupons erhalten habe, mit denen er Lebensmittel und auch andere Produkte im Ghetto habe erwerben können. Im Dezember 1943 sei er dann in ein Arbeitslager geschickt worden.
Nach der Beiziehung der Unterlagen der JCC -Art. 2-Fonds- lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2004 den Antrag des Klägers ab. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger unentgeltliche Zwangsarbeit verrichtet habe.
Der Kläger erhob am 19.11.2004 Widerspruch. Zur Begründung überreichte er eidesstattliche Erklärungen der Zeugen QN und N1N2. In der eidesstattlichen Erklärung der Zeugen QN vom 07.03.2005 heißt es:
" Ich weiß dass er, wie alle anderen Juden, in das errichtete Ghetto von Kaunas übersiedelt ist. Herr W suchte sich sofort einen Arbeitsplatz. Es war bekannt, dass ein Arbeitsplatz große Vorteile hatte: Einkommen, Lebensmittel, Schutz vor Zwangsarbeit etc. Nach einer kurzen ( ) begann er am Flugplatz "Alexot" zu arbeiten, er hat verschiedene Bauarbeiten verrichtet. Die Entlohnung war Beköstigung (eine Mahlzeit) am Arbeitsplatz und Lebensmittel. Herr W war sehr unzufrieden mi...