Entscheidungsstichwort (Thema)

Verpflichtung des Sozialgerichts zur Durchführung der mündlichen Verhandlung nach ergangenem Gerichtsbescheid

 

Orientierungssatz

1. Über einen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung nach ergangenem Gerichtsbescheid ist gemäß § 125 SGG durch Urteil zu entscheiden. Mit einem zulässigen und rechtzeitig gestellten Antrag ist die Wirkung des Gerichtsbescheides als Instanz beendendendes Urteil entfallen.

2. Entscheidet das Sozialgericht unter Verstoß gegen die Verfahrensregelungen durch Beschluss statt durch Urteil, so ist im Verfahren vor dem Landessozialgericht auch dann durch Urteil zu entscheiden, wenn das Rechtsmittel als Beschwerde bezeichnet ist (BVerwG Urteil vom 9. 4. 1964, VIII C 375/63).

3. Die mündliche Verhandlung kann gemäß § 105 Abs. 2 S. 2 SGG nur beantragt werden, wenn die Berufung, wie u. a. bei Nichterreichen des maßgeblichen Beschwerdewerts, nicht gegeben ist.

4. Auf die Beschwerde ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Das Sozialgericht ist damit verpflichtet, die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Gerichtsbescheid gilt nach § 105 Abs. 3 SGG als nicht ergangen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger vom 17.05.2021 wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 16.04.2021 aufgehoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Münster, mit dem das SG ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheides abgelehnt hat.

Die Kläger bezogen seit Mai 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom Beklagten. Zum 01.08.2018 mieteten sie eine Wohnung unter der Anschrift I-Straße 00 in Oelde an. Die Kosten der Unterkunft und Heizung für diese Wohnung beliefen sich auf insgesamt 427 EUR monatlich (238 EUR Kaltmiete, 84 EUR Betriebs- und 90 EUR Heizkostenvorauszahlung). Der Beklagte berücksichtigte die Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungsbewilligung bis zum 30.11.2018 in tatsächlicher Höhe.

Durch Bescheid vom 26.11.2018 bewilligte der Beklagte den Klägern auf Antrag vorläufig Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.12.2018 bis zum 31.05.2019 i.H.v. 1.070 EUR für Dezember 2018 und monatlich 1.086 EUR für die Zeit ab Januar 2019. Hierbei legte er den Regelbedarf i.H.v. jeweils 374 EUR (Dezember 2018) bzw. i.H.v. jeweils 382 EUR monatlich (Januar bis Mai 2019) zu Grunde und gewährte Kosten der Unterkunft ohne Heizkosten i.H.v. monatlich 322 EUR (238 EUR Kaltmiete und 84 EUR Betriebskostenvorauszahlung).

Die Kläger unterzeichneten am 29.11.2018 einen Mietvertrag für die Zeit ab dem 01.01.2019 über eine Erdgeschosswohnung unter der Anschrift N-Straße 00 in Oelde. Die Kaltmiete für diese Wohnung belief sich auf monatlich 275,70 EUR. Die Betriebs- und die Heizkostenvorauszahlungen betrugen 98 EUR bzw. 47 EUR pro Monat.

Durch Bescheid vom 06.12.2018 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Zusicherung der Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Wohnung ab. Eine objektive Erforderlichkeit des Umzugs liege nicht vor.

Mit Änderungsbescheid vom 21.12.2018 bewilligte er unter Bezugnahme auf die Erhöhung der Regelbedarfe zum 01.01.2019 vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 31.05.2019 in unveränderter Höhe.

Die Kläger zogen zum 01.01.2019 in die Wohnung unter der Anschrift N-Straße 00 in Oelde.

Am 25.01.2019 erhoben sie Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.12.2018. Zur Begründung trugen sie unter Vorlage von ärztlichen Berichten im Wesentlichen vor, die Bedarfe für Unterkunft und Heizung seien nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden. Der Umzug sei auf Grund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers erforderlich gewesen.

Mit Änderungsbescheid vom 28.01.2019 gewährte der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 01.01.2019 bis zum 31.05.2019 i.H.v. insgesamt 1.133 EUR monatlich unter Berücksichtigung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 369 EUR. Hierbei legte er die Kaltmiete mit 238 EUR pro Monat, Betriebskostenvorauszahlungen i.H.v. monatlich 84 EUR und die für die Wohnung in der N-Straße 00 geschuldeten Heizkostenvorauszahlungen i.H.v. 47 EUR pro Monat zu Grunde.

Der Beklagte setzte die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Dezember 2018 bis Mai 2019 mit zwei Bescheiden vom 06.09.2019 endgültig fest. Unter Anrechnung des Guthabens aus einer Heizkostenabrechnung vom 16.01.2019 i.H.v. 101,37 EUR bewilligte er den Klägern für Februar 2019 jeweils Leistungen i.H.v. 566,50 EUR und stellte eine individuelle Überzahlung i.H.v. jeweils 50,69 EUR fest. Im Übrigen entsprach die Höhe der endgültig festgesetzten Leistungen der der vorläufig bewilligten.

Mit zwei Bescheiden vom 17.09.2019 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit von Dezember 2018 bis Mai 2019 ab. Er berücksichtigte die Bedarfe für Unterkunft und Heizung ab Januar 2019 nunmehr i.H.v. 412 EUR monatlich (238 EU...

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