Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prüfung der Frage nach der Klagebefugnis. Insolvenzverwalter. Regressfestsetzung wegen Überschreitung der Arzneimittelrichtgrößenvolumina nach Insolvenzeröffnung. neue Forderung gegen Insolvenzschuldner. Darlegung und Vorbringen von Praxisbesonderheiten durch den Vertragsarzt

 

Orientierungssatz

1. Bei der Prüfung der Frage nach der Klagebefugnis kommt es nicht darauf an, ob die behauptete Rechtsverletzung tatsächlich auch vorliegt. Die Klagebefugnis fehlt nur dann, wenn dem Kläger (hier Insolvenzverwalter) das geltend gemachte Recht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann, die Möglichkeit einer Verletzung seiner subjektiven Rechte nicht möglich erscheint (vgl BSG vom 11.5.1999 - B 11 AL 45/98 R = BSGE 84, 67 = SozR 3-4300 § 36 Nr 1 und vom 7.2.2007 - B 6 KA 8/06 R = BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10).

2. Eine Regressfestsetzung (hier: Überschreitung der Arzneimittelrichtgrößenvolumina) richtet sich nach Insolvenzeröffnung als neue Forderung gegen den Insolvenzschuldner; eine Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle scheidet aus (vgl OLG Celle vom 7.1.2003 - 16 U 156/02 = OLGR Celle 2013, 134).

3. Die Umstände, die Praxisbesonderheiten begründen sollen, sind im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss vorzutragen. Nachfolgendes Vorbringen im gerichtlichen Verfahren ist grundsätzlich unerheblich.

4. Einem Vertragsarzt obliegt die Darlegung, aufgrund welcher besonderen, der Art und der Anzahl nach von der Typik in der Arztgruppe abweichenden Erkrankungen er welche Arzneitherapien mit welchen (ggf geschätzten) Mehrkosten je Behandlungsfall veranlasst hat.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.09.2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des zweiten Rechtszugs.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der als Facharzt für Orthopädie in C niedergelassene und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen einen Regress wegen Überschreitens der Arzneimittelrichtgrößenvolumina in den Quartalen I/2007 bis IV/2007.

Während dieser Zeit, nämlich durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) C vom 01.02.2007 - 97 IN 329/06 -, wurde über das Vermögen des auch nachfolgend weiter an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet.

In den Quartalen I/2007 bis IV/2007 behandelte der Kläger zwischen 894 und 948 Patienten und unterschritt damit die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe der Orthopäden um 34,85 % bis 38,00 %. Seine Honoraranforderungen überschritten die durchschnittlichen Fallkosten der Fachgruppe um 71 % bis 100 %. Beim Sprechstundenbedarf lagen Überschreitungen der durchschnittlichen Fallkosten der Fachgruppe um 25,81 % bis 910,31 % vor. Die Heilmittelverordnungen überschritten die Richtgrößensumme um 252,75 %. Bei der Verordnung von Arzneimitteln ergab sich mit einem Verordnungsvolumen von insgesamt 67.863,82 EUR eine Überschreitung der Richtgrößensumme von 38.253,78 EUR um 29.610,04 EUR, entsprechend 77,40 %.

Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein (Prüfungsstelle) leitete ein Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise von Arzneimitteln nach Richtgrößen im Jahr 2007 ein und gewährte dem Kläger im Mai 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme und Darlegung von Praxisbesonderheiten. Der Kläger nahm keine Stellung. Die Prüfungsstelle setzte sodann mit Bescheid vom 29.07.2009 gegen den Kläger einen Regress i.H.v. 11.848,28 EUR fest. Dabei brachte sie von Amts wegen nicht zu den Arzneimittelverordnungen gehörende Kosten in Abzug und berücksichtigte zudem Praxisbesonderheiten nach § 5 Abs. 3 und 4 der Vereinbarung über "Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel 2007" (RGV 2007 in Rheinisches Ärzteblatt 1/2007, S. 77 ff) i.H.v. insgesamt 324,85 EUR. Die so auf 66.043,80 EUR reduzierten Arzneiverordnungskosten entsprachen nach der Berechnung der Prüfungsstelle einer Überschreitung der Richtgrößensumme von 72,65 %. Regressiert wurde der über eine 25%ige Überschreitung der Richtgrößensumme hinausgehende Betrag unter Berücksichtigung des Apothekenrabatts und der Patientenzuzahlungen (Nettokostenindex). Von diesem Betrag wurde zu Gunsten des Klägers ein Guthaben abgesetzt.

Der Bescheid der Prüfungsstelle wurde allein dem Kläger per Einschreiben zugesandt. Dieser erhob dagegen ohne Begründung Widerspruch. Mit Schreiben vom 30.11.2009 unterrichtete der Beklagte den Insolvenzverwalter des Klägers u.a. über dieses Verfahren.

Mit Bescheid vom 19.04.2010 (Sitzung vom 24.03.2010) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Er rechnete ebenso wie die Prüfungsstelle Praxisbesonderheiten nach § 5 Abs. 3 und 4 RGV 2007 im Umfang von 324,85 EUR von Amts wegen an. Andere Praxisbesonderheiten berücksichtigte der Beklagte mit der Begründung nicht, der Kläger habe nicht dargelegt bzw. nicht nachgewiesen, dass er der Art und der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt ...

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