Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Grades der Behinderung für eine Epilepsie im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Der Grad der Behinderung im Schwerbehindertenrecht für epileptische Anfälle ist gemäß § 152 Abs. 3 S. 1 SGB 9 entsprechend der auftretenden Häufigkeit mit 40 bis 100 zu bewerten.
2. Epileptische Anfälle vom Grand Mal-Typ sind bei zweimaliger Häufigkeit pro Monat mit einem GdB von 60 zu bewerten.
3. Erst nach dreijähriger Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung kommt eine Herabsetzung des GdB auf 30 in Betracht.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.02.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die Beklagte stellte bei der am 00.00.1966 geborenen Klägerin aufgrund eines Hirnanfallsleidens und eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms sowie eines Schulter-Arm-Syndroms mit Bescheid vom 25.02.2011 einen GdB von 30 fest.
Am 06.03.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung eines höheren GdB. Die Beklagte holte zunächst aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und veranlasste eine versorgungsärztliche Stellungnahme. In dieser ging der beratende Arzt der Beklagten von Funktionsbeeinträchtigungen durch ein Hirnanfallsleiden (GdB 30) und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom und Schulter-Arm-Syndrom (GdB 20) aus. In der Gesamtschau empfahl er die Feststellung eines GdB von weiterhin 30.
Mit Bescheid vom 15.04.2014 lehnte die Beklagte die Feststellung eines höheren GdB ab. Dem widersprach die Klägerin und trug vor, ihre gesundheitlichen Leiden seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Durch die regelmäßig auftretenden Krampfanfälle sei sie nicht mehr in eine Arbeitsstelle vermittelbar und in allen Bereichen des Lebens stark beeinträchtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin nach Einholung einer erneuten ärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2014, der Klägerin zugestellt am 13.11.2014, als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 12.12.2014 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund des Anfallsleidens sei ein höherer GdB gerechtfertigt. Überdies sei bei ihr noch ein Aneurysma im Gehirn festgestellt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2014 zu verpflichten, bei der Klägerin ab Änderungsantragstellung einen Grad der Behinderung von mehr als 30 festzustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin seien zutreffend festgestellt worden. Es sei nicht objektiviert nachgewiesen, dass das Hirnanfallsleiden der Klägerin tatsächlich in dem Ausmaß vorliege, wie die Klägerin es darstelle.
Zur Stützung ihres Vortrags hat die Klägerin unter dem 26.03.2015 sowie dem 06.01.2017 einen "Anfallskalender" und ärztliche Berichte vorgelegt, u.a. des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. H vom 08.08.2014, 03.02.2015 und 17.02.2017. Dieser hat über Behandlungen der Klägerin u.a. in 07/15, 11/15 und 03/16 berichtet, in der die Klägerin ihm Anfälle geschildert habe sowie über eine Medikamentenumstellung und eine im März 2016 avisierte Vorstellung in der Epileptologie der Uniklinik C. Das SG hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, u.a. des Dr. H vom 02.06.2015. Sodann hat das SG von Amts wegen weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. H und eines orthopädischen Gutachtens von Dr. E. Der Hauptsachverständige Prof. Dr. H ist unter Berücksichtigung des orthopädischen Zusatzgutachtens zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 60 angemessen sei. Der Zusatzgutachter Dr. E hat festgestellt, dass die orthopädischen Beeinträchtigungen (Funktionssysteme "Wirbelsäule" wegen Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, "Obere Extremitäten" wegen Funktionseinschränkung der rechten Schulter und einer operativ behandelten Verletzung am rechten Handgelenk und "Untere Extremitäten" wegen knorpeligen Verschleißveränderungen am Kniescheibengleitlager rechts ) links) jeweils keinen höheren GdB als 10 verursachten. Prof. Dr. H hat ausgeführt, dass das Anfallsleiden der Klägerin als ein solches mit mittlerer Anfallshäufigkeit einzustufen sei. Dies bedinge nach Ziffer B 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB-Rahmen von 60-80. Bei der Klägerin lägen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Anfälle vom Grand-mal-Typ, also große Anfälle vor, diese träten im Durchschnitt 3 x monatlich bzw. nach dem von der Klägerin seit Mitte 2 014 geführten Anfallskalender 1 - 3 x monatli...