Entscheidungsstichwort (Thema)
Quasi-Berufskrankheit. Schweißerlunge. generelle Geeignetheit. gesicherte Erkenntnisse. gruppentypische Gefahr. neue Erkenntnisse. keine Sperrwirkung. Ruhen der aktiven Beratungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA. haftungsausfüllende Kausalität
Leitsatz (amtlich)
1. In der medizinischen Wissenschaft liegen gesicherte Erkenntnisse über ein überhäufiges Auftreten von Lungenfibrosen durch berufliche Schweißraucheinwirkungen vor.
2. Das Gericht ist an der Feststellung einer Quasi-Berufskrankheit ( § 551 Abs 2 RVO , § 9 Abs 2 SGB 7 ) nicht dadurch gehindert, dass beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ein Verfahren über die Aufnahme der betreffenden Erkrankung in den Katalog der Berufskrankheiten anhängig ist, das auf unbestimmte Zeit ruht.
Orientierungssatz
Das nur begrenzte Vorhandensein epidemiologischer Erkenntnisse schließt es nicht aus, gesicherte Erkenntnisse unter Mitberücksichtigung andersartiger Studien, zB Clusteruntersuchungen und tierexperimentellen Befunden, anzunehmen. Die gesicherten Erkenntnisse können nämlich subsidiär auch auf andere, wissenschaftlich gleichwertige Weise gewonnen werden, etwa durch kasuistische Auswertungen typischer Geschehensabläufe, durch methodisch ausgewertete ärztliche Erfahrungen, durch medizinisch-toxikologisch begründbare Analogieschlüsse sowie durch Berücksichtigung der tierexperimentellen Forschung einschließlich der Molekularbiologie.
Normenkette
RVO § 551 Abs. 2, 1 S. 3; SGB VII § 9 Abs. 2; SGB IX § 9 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
SG Trier (Urteil vom 23.09.1998; Aktenzeichen S 5 U 257/98) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten und die Klage des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 23.9.1998 insoweit abgeändert, als der Tenor lautet: Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 26.3.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.9.1997 wird festgestellt, dass beim Kläger ein Versicherungsfall der Quasi-Berufskrankheit vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen dieses Versicherungsfalls eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 % zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob beim Kläger die Voraussetzungen einer Berufskrankheit (BK) nach der Berufskrankheitenverordnung -- BKV -- bzw einer wie eine BK zu entschädigenden Erkrankung vorliegen.
Der 1941 geborene Kläger arbeitete seit Mitte der 1950er Jahre (zuletzt seit April 1979 bei der Firma B GmbH in T) als Metallbaufacharbeiter. Nach dem Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom Januar 1994 fielen bei dieser Tätigkeit hauptsächlich Zuschneide-, Schleif- und Schweißarbeiten, aber auch Klebe- und Zusammenbauarbeiten an.
Die den Kläger behandelnde Lungenärztin Dr M aus T erstattete im Juni 1993 eine ärztliche Anzeige an die Beklagte über eine BK beim Kläger, in der sie eine "Schweißerlunge" diagnostizierte, welche der Kläger auf berufliche Einwirkungen von Schweißrauch und Zinkdämpfen zurückführe; die Beschwerden seien erstmals 1992 aufgetreten.
Die Beklagte holte ein Gutachten von Prof Dr S (mit Dr Z) von der Abteilung für Innere Medizin V der Universitätsklinik H/S vom September 1995 ein. Dieser hielt fest: Beim Kläger bestehe eine Lungenfibrose, deren Ursache letztlich unklar sei. Zur weiteren Abklärung seien zusätzliche Untersuchungen erforderlich. Nach deren Durchführung führte Prof Dr S im April 1996 aus: Die Exposition gegenüber Schweißrauchen müsse als wesentliche Mitursache der Lungenfibrose des Klägers gewertet werden. Am Ehesten sei die BK Nr 4107 einschlägig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 20 % einzuschätzen.
Der TAD der Beklagten vertrat in seinem Schreiben vom Mai 1996 die Auffassung, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr 4107 lägen nicht vor. Der Kläger habe in der Firma B keinen Umgang mit Sinterhartmetallen, Aufschweißlegierungen, Aufspritzpulvern auf Karbidbasis und mit Schneidwerkzeugen aus Hartmetallen gehabt.
Der Staatliche Gewerbearzt des Landes Rheinland-Pfalz Dr W legte in seinem Kurzgutachten vom August 1996 dar, dem Gutachten von Prof Dr S werde zugestimmt, jedoch werde "eher" eine BK Nr 4106 angenommen. Der TAD der Beklagten bejahte in seiner Stellungnahme vom Oktober 1996 die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme nach Aktenlage von Prof Dr O aus B vom Januar 1997. Dieser führte aus: Aus der von Prof Dr S mitgeteilten Elementanalyse lasse sich nicht ohne weiteres ableiten, dass der Kläger in hohem Maß gegenüber Aluminium exponiert gewesen sei. Weder aus der radiologischen Befundbeschreibung noch aus den Ergebnissen der durchgeführten Elementanalyse lasse sich das Vorliegen einer Aluminose überwiegend wahrscheinlich machen. Bezüglich der Eleme...