Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwaltsvergütung
Leitsatz (amtlich)
Im Einzelfall ist bei deutlich unterdurchschnittlichem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit durch Synergieeffekte bei der Bearbeitung neun paralleler Klageverfahren eine Verfahrensgebühr von einem Drittel der Mittelgebühr angemessen. Die Terminsgebühr ist im Einzelfall bei neun gleichzeitig verhandelten Verfahren in Höhe der Mindestgebühr angemessen.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitgegenständlich ist das Rechtsanwaltshonorar nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das der Beschwerdeführerin für ein Klageverfahren nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse als Beschwerdegegner zusteht.
In dem seit dem 10. Juli 2015 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) anhängigen und mittlerweile erledigten Klageverfahren S 14 AS 1523/15 vertrat die Beschwerdeführerin eine Klägerin im Streit um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Verurteilung des beklagten Jobcenters zur Gewährung höherer Leistungen in der Zeit von Mai bis Oktober 2015 ohne Annahme einer Bedarfsgemeinschaft (Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft) der Klägerin mit einer weiteren Person.
Die Beschwerdeführerin erhob die Klage zunächst fristwahrend und begründete diese am 6. November 2015 nach Akteneinsicht auf vier Seiten (ohne Rubrum). Mit Beschluss vom 10. Februar 2016 bewilligte das SG PKH ab dem 18. Dezember 2015 und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Am 23. März 2016 wurde antragsgemäß ein PKH-Vorschuss in Höhe von 410,55 € an die Beschwerdeführerin angewiesen. Unter dem 13. Juni 2017 fertigte die Beschwerdeführerin eine weitere kurze Stellungnahme.
Der gemeinsame Erörterungstermin vom 9. Mai 2018 dauerte 46 Minuten und umfasste neun Klageverfahren. Die Klageverfahren betrafen jeweils die Klägerin oder die weitere Person und die Frage, ob zwischen diesen eine Bedarfsgemeinschaft vorlag. Die Beteiligten einigten sich auf die Durchführung eines „Mustererfahrens“ und beantragten im hiesigen Verfahren das Ruhen, welches das SG mit Beschluss vom 14. Mai 2018 anordnete.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 31. Januar 2019 beantragte die Beschwerdeführerin die Festsetzung ihrer Vergütung aus der PKH wie folgt:
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Verfahrensgebühr |
Nr. 3102 VV RVG |
300,00 € |
Terminsgebühr |
Nr. 3106 VV RVG |
280,00 € |
Post- und Telekom. Pauschale |
Nr. 7002 VV RVG |
20,00 € |
Dokumentenpauschale |
Nr. 7000 VV RVG |
25,00 € |
Zwischensumme |
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625,00 € |
Mehrwertsteuer |
Nr. 7008 VV RVG |
118,75 € |
Abzüglich Vorschuss |
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- 410,55 € |
Kostenforderung |
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333,20 € |
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG (UdG) setzte die PKH-Vergütung mit Beschluss vom 11. April 2019 auf insgesamt 232,05 € fest und forderte die Beschwerdeführerin zur Erstattung von 178,50 € auf.
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Verfahrensgebühr |
Nr. 3102 VV RVG |
100,00 € |
Terminsgebühr |
Nr. 3106 VV RVG |
50,00 € |
Dokumentenpauschale |
Nr. 7000 VV RVG |
25,00 € |
Post- und Telekom. Pauschale |
Nr. 7002 VV RVG |
20,00 € |
Zwischensumme |
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195,00 € |
Mehrwertsteuer |
Nr. 7008 VV RVG |
37,05 € |
Kostenforderung |
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232,05 € |
Abzüglich Vorschuss |
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- 410,55 € |
Überzahlung |
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178,05 € |
Zur Begründung führte sie aus, die anwaltliche Tätigkeit habe sich nach der PKH-Bewilligung auf einen kurzen Schriftsatz beschränkt. Zudem seien Synergie- und Rationalisierungseffekte durch die parallele Bearbeitung mehrerer Klageverfahren angefallen, die sich auf die Gebührenhöhe auswirkten. Diese sei am unteren Gebührenrahmen anzusiedeln und mit einem Drittel der Mittelgebühr (100 €) zu bemessen. Da die Terminsdauer am 9. Mai 2018 lediglich sechs Minuten pro Verfahren gedauert habe, sei die Mindestgebühr von 50 € angemessen und billig.
Am 20. Mai 2019 hat die Beschwerdeführerin Erinnerung eingelegt: Die in Ansatz gebrachten Gebühren seien vollumfänglich gerechtfertigt. Insbesondere sei die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr anzusetzen, denn Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien durchschnittlich gewesen.
Mit Beschluss vom 1. November 2021 hat das SG auf die Erinnerung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen: Die Verfahrensgebühr sei lediglich mit einem Drittel der Mittelgebühr und damit in Höhe von 100 € zu berücksichtigen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien unterdurchschnittlich gewesen. Die Beschwerdeführerin habe bereits im Jahr 2014 drei Klagen und im Jahr 2015 vier Klagen für die weitere Person, die mit der Klägerin zusammengelebt habe, erhoben, die allesamt den gleichen Klagegegenstand beinhaltet hätten. Die Unterdurchschnittlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit ergebe sich aus der Vertretung in sieben weiteren älteren Verfahren mit gleichem streitigen Inhalt. Zudem sei PKH erst ab dem 18. Dezember 2015 bewilligt worden, als Akteneinsicht und Klagebegründung bereits zuvor erfolgt seien. Die Bedeutung der Angelegenheit sei für die Klägerin durchschnittlich, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin jedoch unterdurchsc...