Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Bestimmung der Gebühr bei Rahmengebühren nach billigem Ermessen. Mittelgebühr. Gewichtung der maßgeblichen Bewertungsfaktoren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung der Gebühr bei Rahmengebühren muss nach billigem Ermessen im Einzelfall erfolgen. Sie erlaubt keine schematische Festsetzung einer Mittelgebühr. Die Mittelgebühr kann nur bei einer insgesamt durchschnittlichen Angelegenheit festgesetzt werden.
2. Zur Bestimmung der Gebühr sind die maßgeblichen Bewertungsfaktoren einzeln zu gewichten. Sie können von einem Mittelwert (0,5) nach unten oder oben abweichend bewertet werden. Aus den ermittelten Einzelfaktoren ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein Durchschnitt zu bilden.
Normenkette
RVG § 56 Abs. 1 S. 1, §§ 14, 3
Tenor
Der Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 6. Juli 2011 wird abgeändert und die aus der Prozesskostenhilfe zu erstattende Vergütung der Erinnerungsführerin auf 502,18 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Erinnerungsführerin (im Folgenden: EF) wendet sich gegen die gerichtliche Festsetzung der ihr aus Prozesskostenhilfe zu zahlenden Vergütung.
Der Senat ordnete die EF mit Beschluss vom 19. Januar 2011 der (Berufungs-) Klägerin in dem Verfahren L 2 AS 455/10 im Rahmen der gleichzeitig nur der Klägerin bewilligten Prozesskostenhilfe bei. Mit ihrer Berufung wandten sich die Klägerin und ihre minderjährigen Kinder gegen die Höhe der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ab dem 1. Oktober 2008 bis zum 26. Februar 2009, weil sie meinten, dass das Einkommen und Vermögen einer weiteren Person ihren Hilfebedarf nicht mindere. Die EF vertrat die Kläger bereits im Klageverfahren. Nach Zustellung des Urteils des Sozialgerichts Halle (SG) vom 11. Oktober 2010 erhob sie für die Kläger mit einem Schriftsatz vom 24. November 2010 Berufung. Die Begründung umfasste etwa drei Textseiten. Hierin legte die EF die Wohnverhältnisse der Kläger und der weiteren Person dar, machte Ausführungen zu einer Miete, referierte die Aussagen der Beteiligten bzw. der als Zeuge vernommenen Person, machte im Hinblick auf die Begründung des Urteils weitere Ausführungen zur Miethöhe und Kinderbetreuung und wandte sich gegen die Beweiswürdigung des SG. Hierauf erwiderte die Beklagte lediglich mit einem Verweis auf die nach ihrer Ansicht überzeugenden Ausführungen des SG. Sodann bestimmte der Berichterstatter einen Erörterungstermin für den 2. März 2011 und das persönliche Erscheinen der Kläger. Die EF beantragte die Entbindung der Kläger von dem persönlichen Erscheinen, woraufhin der Termin nicht stattfand. Im für den 28. Juni 2011 bestimmten Termin zur Erörterung waren die Kläger abwesend und wurden von EF vertreten. Es fand eine halbstündige Sitzung statt, in der nach Vortrag des Sachverhalts durch den Berichterstatter die sich widersprechenden Angaben der Kläger zur Frage des Zusammenlebens bei Antragstellung wegen Grundsicherung einerseits und bei dem Bezug von Elterngeld erörtert wurden und in deren Ergebnis sich die Kläger zur Fortsetzung der Berufung innerhalb von zwei Wochen äußern sollten. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2011 nahm die EF für die Kläger die Klage zurück.
Die EF beantragte am 29. Juni 2011 die Festsetzung der ihr aus der Prozesskostenhilfebewilligung zustehenden Vergütung wie folgt:
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Verfahrensgebühr, Nr. 3204 VV RVG |
310,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG |
200,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale, Nr. 7002 VV-RVG |
20,00 EUR |
Reisekosten (104 km x 0,3 EUR/km), Nr. 7003 VV-RVG |
31,20 EUR |
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV-RVG |
20,00 EUR |
Netto 5 |
81,20 EUR |
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
110,43 EUR |
Gesamt |
691,63 EUR |
Die Urkundsbeamtin setzte mit dem angefochtenen Beschluss vom 6. Juli 2011 die Vergütung auf 445,69 Euro fest: Die EF habe die Berufungsbegründung und eine Klagerücknahme gefertigt. Daher sei nicht von einer Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr, sondern nur von einem Drittel der Mittelgebühr auszugehen. Im Übrigen folgt die Festsetzung der Bestimmung der EF.
Gegen den ihr am 12. Juli 2011 zugestellten Beschluss hat die EF am 26. Juli 2011 Erinnerung eingelegt: Die Verfahrensgebühr sei in dem hier vorliegenden Durchschnittsfall mit einer Mittelgebühr entstanden, weil mit der Klägerin mehrere Besprechungen durchgeführt wurden, um die Rechtslage und die Erfolgsaussicht der Berufung zu erörtern. Es sei auch zu berücksichtigen, dass es hier um existenzsichernde Leistungen gegangen sei.
Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt, weil im Vergleich zum Vorbringen in der ersten Instanz keine neuen Sachverhalte vorgetragen wurden, die Klägerin nicht zum Termin erschienen war und auch dort kein neuer Sachverhalt vorgetragen wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II.
Die Erinnerung hat teilweise Erfolg.
Der Senat entscheidet als Ge...