Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe des vollständigen Inhalts eines Beitragsnachforderungsbescheides als Voraussetzung zu dessen Rechtswirksamkeit

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Verrechnung nach § 52 SGB 1 prüft das Gericht die zur Verrechnung gestellte Gegenforderung in Bezug auf deren materielle Rechtmäßigkeit nicht, soweit diese bestandskräftig festgestellt ist.

2. Ein Verwaltungsakt kann nach § 37 Abs. 3 S. 1 SGB 10 öffentlich nur dann bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen worden ist. Bei einem Beitragsnachforderungsbescheid des Versicherungsträgers handelt es sich nicht um eine Allgemeinverfügung. Damit existiert für einen solchen Bescheid keine Rechtsgrundlage für eine öffentliche Bekanntgabe. Mangels wirksamer Bekanntgabe ist der entsprechende Nachforderungsbescheid nicht rechtswirksam ergangen.

3. Im Übrigen gilt ein Bescheid, der wesentlich auf eine beigefügte Anlage Bezug nimmt, dann nicht als vollständig bekannt gegeben, wenn die in Bezug genommene Anlage dem Bescheid nicht beigefügt war. Ein solcher Bescheid ist nichtig, weil ihm nicht entnommen werden kann, welcher konkrete Beitragssachverhalt betroffen ist.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Dezember 2015 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2011 und des Bescheides vom 22. April 2013 wird insoweit aufgehoben, als der Zahlbetrag der dem Kläger gewährten Altersrente um eine Verrechnung zu Gunsten der Beigeladenen vom 1. Juli 2011 (ab dem 1. Januar 2012 tatsächlich umgesetzt) bis zum 30. April 2013 in Höhe von 265,29 EUR und vom 1. Mai 2013 bis zum 28. Februar 2014 in Höhe von 111,46 EUR monatlich vermindert sowie einmalig eine Verrechnung mit einer Rentennachzahlung in Höhe von 262,68 EUR angeordnet worden ist.

Die Beigeladene hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte einen Teilbetrag der dem Kläger gewährten Altersrente mit einer das Jahr 1992 betreffenden Forderung der beigeladenen Krankenkasse in Höhe von 12.261,34 EUR (23.981,10 DM) nebst Säumniszuschlägen, Gebühren und Kosten vom 1. Juli 2011 (ab dem 1. Januar 2012 tatsächlich umgesetzt) bis zum 30. April 2013 in Höhe von 265,29 EUR und vom 1. Mai 2013 bis zum 28. Februar 2014 in Höhe von 111,46 EUR monatlich sowie einmalig in Höhe von 262,68 EUR (tatsächlich nicht umgesetzt) hat verrechnen können.

Dem am ... 1946 geborenen Kläger ist nach seinen Angaben im Berufungsverfahren von A. S. die Gründung einer gemeinsamen Offenen Handelsgesellschaft (OHG) in Aussicht gestellt worden, ohne dass dieses Vorhaben konkret umgesetzt worden sei. Der Steuerberater T. S. bestätigte dem Kläger unter dem 31. Juli 1996 in Bezug auf eine "S. und D. OHG", dass er - der Kläger - am 31. März 1992 mit A. S., einem Rechtsanwalt und dem Verfasser des Schreibens über die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn S. verhandelt habe. Die Gesprächsteilnehmer seien in beiderseitigem Einverständnis zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung aus der OHG ausscheide und A. S. die OHG fortführe, wobei dieser die gesamten Schulden der OHG übernehme und den Kläger von sämtlichen Verbindlichkeiten der OHG freistelle.

Die erkennbar unvollständige und teilweise mehrfach paginierte Verwaltungsakte der Beigeladenen enthält das an "D. und S. City-Snack, Weg, H." adressierte Schreiben der Beigeladenen vom 13. November 1996, in dem mitgeteilt wird, die Durchsicht der ("Ihrer") Geschäftsunterlagen für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1992 sei am Tag des Schreibens abgeschlossen worden. Dabei seien insbesondere die Lohn- und Gehaltskonten mit den Unterlagen der Beigeladenen abgestimmt worden. Die Nachberechnung betrage 26.063,96 DM. Nähere Angaben zum Grund der Nachberechnung, der Zuordnung zu Versicherten etc. enthält das Schreiben nicht. Das Schreiben, das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, ist nach der Verwaltungsakte am 18. November 1996. d.h. fünf Tage nach dessen Abfassung, öffentlich ausgehängt worden mit der Angabe, es handele sich um eine öffentliche Zustellung nach § 15 Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes (VwZG)/des Landes Sachsen Anhalt. Unter der auf dem Schreiben angegebenen Anschrift soll bei einer versuchten Pfändung in den Geschäftsräumen am 5. März 1997 ein Haus nicht vorgefunden worden sein.

Die Beigeladene erteilte am 30. Dezember 1996 einen Vollstreckungsauftrag gegenüber einer "D. und S. City-Snack Betriebs- und Verwaltungs GmbH", ...Weg in H., für "Beitr.-Betriebsprü. (01.01.92-31.12.92)" in Höhe von 26.063,96 DM, abzüglich "Saldo Vormonat" in Höhe eines Guthaben von 2.082,86 DM (im Ergebnis 23.981,09 DM) nebst Säumniszuschlägen, Mahn- und Vollstreckungsgebühren.

Unter dem 6. Februar 1997 forderte die Beigeladene ei...

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