Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. unangemessene Unterkunftskosten. Kostensenkungsaufforderung. Bestimmung der Angemessenheitsgrenze. Zugehörigkeit eines minderjährigen Kindes zur Bedarfsgemeinschaft. Unwirksamkeit einer Kostensenkungsaufforderung. fehlerhaft zu niedrige Angaben über die angemessenen Unterkunftskosten. Kausalität. subjektive Unzumutbarkeit einer Kostensenkung. Erfassung und Berücksichtigung der individuellen Umstände durch den Grundsicherungsträger
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Bestimmung der Zugehörigkeit eines minderjährigen Kindes zur Bedarfsgemeinschaft ist bei der Bedarfsberechnung vom Kopfteil der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunftskosten auszugehen. Nur wenn das Kind diese und die übrigen Bedarfe selbst aus eigenem Einkommen vollständig decken kann, gehört es nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Werden die Unterkunftskosten auf die Angemessenheitsgrenze abgesenkt, ändert sich nichts an der Kopfzahl der Bedarfsgemeinschaft. Es bedarf daher auch keiner weiteren Kostensenkungsaufforderung.
2. Eine Kostensenkungsaufforderung ist nur dann unwirksam wegen der dort genannten Grenzwerte, wenn diese ursächlich für die Unmöglichkeit sind, eine angemessene Wohnung zu finden. Dies muss vom Leistungsberechtigten vorgetragen werden. Allein aus dem Differenzbetrag zur Angemessenheitsgrenze lässt sich die Kausalität nicht feststellen.
3. Liegt ein Regelbeispiel für die subjektive Unzumutbarkeit einer Kostensenkung vor, sind diese zu beachten. Die individuellen Umstände müssen zutreffend erfasst und berücksichtigt werden. Die daraus folgenden Obliegenheiten zur Kostensenkung sind durch den Leistungsträger an diese Umstände anzupassen. Nur dann müssen Leistungsberechtigte im Prozess darlegen, weshalb Kostensenkungsbemühungen keinen Erfolg hatten.
Tenor
Die Berufungen werden zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen für die Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Bewilligung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. März bis 30. Juni 2018 (weitere 550,28 € = 4 x 137,57 €/Mt.) sowie für Januar 2019 (weitere 137,27 €).
Die am ... 1979 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter der am ... 2003 und am ... 2010 geborenen Klägerinnen zu 2. und 3. Diese besuchten im streitigen Zeitraum die 9. Schulklasse einer privaten Gesamtschule (1,4 km entfernt) bzw. die 1. Klasse einer Grundschule (650 m entfernt).
Die Klägerinnen bewohnten seit April 2009 - zunächst noch mit dem Ehemann der Klägerin zu 1. - eine 81 m² große Mietwohnung in A.. Die Eheleute lebten seit August 2016 getrennt, der Ehemann zog am 1. Februar 2017 aus.
Die Bruttokaltmiete betrug in den streitigen Zeiträumen monatlich 509,97 € (Kaltmiete 434,97 € und Betriebskosten 75 €) und die Heizkosten 113 € (Gesamtmiete = 622,97 €). Dazu kamen die Abfallgebühren i.H.v. je 26,19 € im März und Juni 2018 der streitigen Zeiträume.
Die Klägerinnen bezogen als Bedarfsgemeinschaft bis zum 31. Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Mietkosten. Anspruchsberechtigt waren alle drei Klägerinnen (Änderungsbescheid vom 3. August 2017).
Die Klägerinnen zu 2. und 3. erhielten in den streitigen Zeiträumen monatlich Kindergeld (je 194 €) und Unterhalt (i.H.v. 50 € bzw. i.H.v. 302 € ab März 2018 und im Januar 2019 i.H.v. 309 €). Die Klägerin zu 3. erhielt Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) (zunächst i.H.v. 223 €, im Januar 2019 i.H.v. 232 €).
Die Klägerin zu 1. absolvierte im Zeitraum vom 20. Juni 2017 bis 17. Januar 2019 beim B. erfolgreich eine Weiterbildung für den Beruf „Geprüfte Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung“ und erhielt bis zum 17. Januar 2019 Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland. Dies wurde ab März 2018 i.H.v. kalendertäglich 25,48 € (= 764,40 €/Monat) gezahlt. Das von der Klägerin zu 1. für die Zeit ab 18. Januar 2019 beantragte Anschlussübergangsgeld wurde mit Bescheid vom 12. Februar 2019 bewilligt. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestand ab dem 17. Januar 2019 nicht.
Am 15. Februar 2019 nahm die Klägerin eine versicherungspflichtige Tätigkeit auf und verzichtete auf weitere Leistungen nach dem SGB II.
Mit Schreiben vom 21. August 2017 hatte der Beklagte auf die nach seiner Richtlinie unangemessenen Leistungen für KdUH hingewiesen. Angemessen für die 3-köpfige Bedarfsgemeinschaft seien eine Wohnfläche von 70 m² und eine Gesamtmiete i.H.v. 499,57 €/Monat. Eine Übernahme unangemessener Kosten komme nur bis zum 28. Februar 2018 in Betracht. Die Prüfung der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten richte sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Klägerinnen könnten zu den Umständen Stellung nehmen, die Einfluss auf die Angemessenheit sowie mögliche und zumutbare Maßnahmen zur Kostensenkung haben könnten.
Die Klägerin zu ...