BMF, Schreiben vom 3.11.2022, IV A 3 - S 0460-a/19/10012 :002 (DOK 2022/0981955), BStBl I 2022, 1462
Bezug: TOP 6 der Sitzung AO V/2022
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 mit am 18. August 2021 veröffentlichtem Beschluss vom 8. Juli 2021 (BGBl 2021 I S. 4303) entschieden, dass § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO mit Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird. Die Unvereinbarkeitserklärung erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO. Die Entscheidung des BVerfG betrifft aber auch nicht die ausschließlich zugunsten der Steuerpflichtigen wirkenden Prozesszinsen nach § 236 AO und die Säumniszuschläge nach § 240 AO.
Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 ist das bisherige Recht weiter anwendbar (Fortgeltungsanordnung). Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 wurde der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine rückwirkende Neuregelung der Vollverzinsung zu treffen. Diese Neuregelung wurde mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12. Juli 2022 (BGBl 2022 I S. 1142) getroffen. Sie gilt für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 und ist rückwirkend in allen offenen Fällen anzuwenden.
Die Steuerverwaltungen der Länder können die Neuberechnung der Zinsen in anhängigen Verfahren und die Umstellung der Zinsberechnungsprogramme aufgrund der damit verbundenen erheblichen technischen und organisatorischen Auswirkungen allerdings nicht sofort nach Inkrafttreten der Neuregelungen umsetzen.
Für die Zwischenzeit enthält Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO deshalb eine Übergangsregelung: Solange die Neuregelung in § 238 Absatz 1a und 1b AO technisch und organisatorisch noch nicht umgesetzt werden kann, können Zinsfestsetzungen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ungeachtet der am 22. Juli 2022 in Kraft getretenen Neuregelungen weiterhin vorläufig ergehen oder ausgesetzt werden (Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO in Verbindung mit § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und Satz 4 sowie Absatz 2 AO). Die Umstellungstermine in den einzelnen Ländern können auseinanderfallen.
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der AEAO zu § 233a mit sofortiger Wirkung wie nachfolgend neu gefasst.
Auf die Regelungen in den BMF-Schreiben
wird hingewiesen.
„AEAO zu § 233a – Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen
Allgemeines
1. Die Verzinsung nach § 233a AO (Vollverzinsung) soll im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern trotz gleichen gesetzlichen Entstehungszeitpunkts, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und erhoben werden. Die Verzinsung ist gesetzlich vorgeschrieben; die Zinsfestsetzung steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Die Zinsen werden grundsätzlich im automatisierten Verfahren berechnet, festgesetzt und zum Soll gestellt. Die Zinsfestsetzung wird regelmäßig mit dem Steuerbescheid oder der Abrechnungsmitteilung verbunden.
Sachlicher und zeitlicher Geltungsbereich
2. Die Verzinsung nach § 233a AO ist beschränkt auf die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer (§ 233a Abs. 1 Satz 1 AO). Wegen der Verzinsung des Steuervergütungsanspruchs nach § 18 Abs. 9 UStG i. V. m. §§ 59 ff. UStDV und in Fällen des Mini-one-stop-shop-Verfahrens nach § 18 Abs. 4e UStG (MOSS-Verfahren) vgl. AEAO zu § 233a, Nr. 61. Von der Verzinsung ausgenommen sind die übrigen Steuern und Abgaben sowie Steuervorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO); vgl. auch BFH-Beschluss vom 18.9.2007, I R 15/05, BStBl 2008 II S. 332, und BVerfG-Beschluss vom 3.9.2009, 1 BvR 1098/08, BFH/NV S. 2115. Auch bei der Nachforderung von Abzugsteuern gegenüber dem Arbeitnehmer (vgl. BFH-Urteil vom 17.11.2010, I R 68/10, BFH/NV 2011 S. 737), der Festsetzung der vom Arbeitgeber übernommenen Lohnsteuer sowie der Festsetzung der Umsatzsteuer im...