Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Schadensersatzanspruch des Erwerbers eines Dieselfahrzeugs mit Thermofenster

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beim Einsatz eines Thermofenster unterscheidet die Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Dies reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 28)

2. Der Fahrzeughersteller kann zu seiner Entlastung auch darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). (Rn. 47)

3. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. (Rn. 47)

4. Eine Entlastung setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Haben mehrere Abschalteinrichtungen Verwendung gefunden, muss der Tatrichter die Einzelheiten der konkret verwendeten Kombination für die Frage einer hypothetischen Genehmigung in den Blick nehmen. (Rn. 48)

Schlagworte:

 

Normenkette

BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Bamberg (Urteil vom 21.12.2021; Aktenzeichen 42 O 192/21)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 21.12.2021, Az. 42 O 192/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für die Berufung auf 51.667,71 EUR festzusetzen.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15.09.2023.

 

Gründe

Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit der sogenannten Dieselthematik.

Der Klägerin erwarb am 21.03.2018 einen PKW VW T6 2.0 TDI EU6 zum Kaufpreis von 57.700,00 EUR. In dem Fahrzeug war ein Motor der Beklagten vom Typ EA 288 verbaut. Für dieses Fahrzeug liegt kein verpflichtender Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes vor. Mit der Klage begehrt die Klagepartei Schadensersatz wegen behaupteter Manipulationen am Abgassystem.

Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 21.12.2021 abgewiesen. Es finde sich kein ausreichender Sachvortrag der Klägerin hinsichtlich unzulässiger Abschalteinrichtungen. Das Fahrzeug sei nicht von einer Rückrufaktion betroffen. In der Verwendung des Thermofensters liege keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung oder vorsätzliche Täuschung der Genehmigungsbehörde.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klagepartei. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts habe die Klägerin schlüssig und substantiiert vorgetragen. Das Verhalten der Beklagten sei danach als sittenwidrig zu bewerten. Aufgrund der konkreten Ausgestaltung der Bedatung sei von einer Differenzierung der Emissionsreduzierungsstrategien und einer Verringerung der Emissionsreduzierungsleistung zulasten des realen Fahrbetriebs auszugehen. Das KBA habe bei seiner Prüfung nicht sämtliche Unterlagen zum streitgegenständlichen Motortyp übermittelt bekommen.

Die Klagepartei beantragt,

unter Abänderung des am 21.12.2021 verkündeten, am 23.12.2021 zugestellten Urteils des Landgerichts Bamberg, Aktenzeichen 42 O 192/21,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 51.667,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.06.2021 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW T6 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer ...

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet,

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei weitere 2.162,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagtenpartei beantragt,

Die Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.

Die Beklagte verteidigt das Ersturteil.

Ergänzend wird auf die Berufungsbegründung vom 21.01.2022 und die Berufungserwiderung vom 03.05.2022 verwiesen.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung einstimmig durch B...

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