Leitsatz (amtlich)
Art. 2 I GG gebietet im Hinblick auf die Anforderungen des (allgemeinen) Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den über § 24 a II StVG grundsätzlich verfassungskonform eingegrenzten Eingriff in die Handlungsfreiheit von der über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden Einschränkung abhängig zu machen, dass nicht mehr jeder Nachweis eines der in der Anlage zu § 24 a II StVG genannten berauschenden Mittel im Blut - darunter Morphin und Heroin - für eine Verurteilung nach § 24 a II StVG ausreichend ist. § 24 a II StVG ist demgemäß verfassungskonformen dahin auszulegen, dass eine Konzentration des berauschenden Mittels festgestellt werden muss, die es zumindest als möglich erscheinen lässt, dass der Betr. am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war (Anschluss an Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.2004 - 1 BvR 2652/03 = NJW 2005, 349/350 ff. = StV 2005, 383 ff. = DAR 2005, 70 ff.).
Eine Verurteilung nach § 24 a II StVG verlangt auch weiterhin nicht, dass eine tatsächliche Wirkung des Rauschmittels im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bei dem Betr. im Einzelfall festgestellt und nachgewiesen wird.
Weder aus Art. 2 I GG noch aus sonstigem Verfassungsrecht lässt sich die Notwendigkeit einer weiterreichenden einschränkenden Auslegung von § 24 a II StVG des Inhalts herleiten, dass erst ab Erreichen einer bestimmten Wirkstoffkonzentration im Blut im Sinne eines analytischen, lediglich einen Qualitätsstandard beschreibenden Grenzwertes eine Ahndung nach § 24 a II StVG in Betracht kommt (Anschluss an OLG München NJW 2006, 1606 f.).
Tatbestand
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (Morphin) nach § 24 a II, III StVG zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Nach den Feststellungen hatte der Polizeibeamte W. den Betr. gegen 17.30 Uhr. in seinem Pkw fahrend im Stadtgebiet von S. beobachtet. Da der Betr. als zumindest in Rauschgiftkreisen verkehrend bekannt war, entschloss man sich, ihn einer Kontrolle zu unterziehen. Nachdem der Betr. auf der Dienststelle einen Urintest verweigert hatte, wurde eine Blutentnahme angeordnet, die um 19.12 Uhr vollzogen wurde. Das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung der Blutprobe ergab, dass im Blut Morphin ≪ 10,0 ng/ml nachweisbar war.
Der Betr. hatte zunächst angegeben, erkältungsbedingt codeinhaltige Präparate eingenommen und Mohnbrötchen verzehrt zu haben, seine Einlassung nach Gutachtenerstellung durch den rechtsmedizinischen Sachverständigen allerdings dahin modifiziert, möglicherweise auch am frühen Nachmittag Mohnkuchen verzehrt zu haben.
Der Sachverständige führte aus, an seinem Institut sei die technische Ausstattung derart, dass ein Nachweis von Morphin im Blut ab 2,5 ng/ml Blut möglich ist. Soweit im schriftlichen Gutachten davon die Rede sei, dass eine Konzentration von 'kleiner als 10 ng/ml Blut' nachweisbar ist, rühre dies daher, dass es sich bei dem Wert 10 ng/ml Blut um eine Bestimmungsgrenze handelt. Dies bedeute, dass bei dem von ihm durchgeführten Messverfahren Angaben über die exakte Höhe der Konzentration zwischen 2,5 ng/ml und 10 ng/ml nicht möglich seien; jedoch stehe fest, dass eine Morphinkonzentration von über 2,5 ng/ml im Blut vorhanden gewesen sei. Wolle man die exakte Konzentration feststellen, müsse ein anderes Messverfahren gewählt werden.
Nach Auffassung des AG konnte die Einlassung des Betr., er habe Kodeinpräparate konsumiert, durch den Sachverständigen aus wissenschaftlicher Sicht widerlegt werden. Zwar enthalte Kodein als Abbauprodukt ebenfalls Morphin, jedoch hätte in diesem Fall neben Morphin auch Kodein im Blut nachgewiesen werden müssen. Der Verzehr von Mohnbrötchen sei nicht geeignet, eine Morphinkonzentration im Blut hervorzurufen, was daran liege, dass in der Regel bei Mohnkörnchen der Mohn auf die Brötchen aufgestreut werde und sich auch beim Backen und beim Verzehr Morphin nicht entwickeln könne. Anders sehe es bei Mohnkuchen aus. Die weitere Einlassung des Betr., Mohnkuchen verzehrt zu haben, wertete das AG als eine im nachhinein zurecht gelegte Schutzbehauptung, die erst dann vorgetragen worden sei, als der Sachverständige sein Gutachten erstattet und auf die Möglichkeit von Morphinkonzentrationen im Blut nach dem Verzehr von Mohnkuchen hingewiesen hatte.
Die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Betr. führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an das AG.
Entscheidungsgründe
I.
Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist mit Beschluss des Einzelrichters gemäß § 80 a III 1 i.V.m. § 80 a I OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 a II OWiG) übertragen worden, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Der vorliegende Fall gibt Veranlassung, die Frage, welche tatbestandlichen Anforderungen in objektiver Hinsicht an einen Verstoß gegen § 24 ...