Leitsatz (amtlich)
1. Eine Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO beinhaltet auch die im Vorfeld einer Grundstückveräußerung getroffene Abrede zwischen dem Verkäufer - dem späteren Insolvenzschuldner - und einem Gläubiger, dessen nachrangiges Grundpfandrecht gegen Zahlung eines bestimmten Betrags abzulösen, um dadurch einen lastenfreien Erwerb der Käuferseite sicherzustellen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 20.03.2014, IX ZR 80/13, dort Rn. 21 a.E.).
2. Eine solche Rechtshandlung ist nicht auf eine Gläubigerbenachteiligung angelegt und daher insolvenzrechtlich nicht anfechtbar, wenn sie eine wirtschaftlich sinnvolle Verwertung des Sicherungsobjekts ermöglichen soll und der Veräußerungserlös aufgrund der Belastung der Immobilie mit mehreren Grundpfandrechten nach Lage der Dinge ohnehin nicht zur Masse gelangt wäre:
Unter diesen Voraussetzungen stellt sich die angefochtene Ablösungsvereinbarung bei wirtschaftlicher Betrachtung nämlich als eine jedenfalls "nicht offensichtlich insolvenzzweckwidrige" - und zugleich dem Rechtsgedanken des § 268 BGB entsprechende - Verwertung im Wege der "Umverteilung" des Erlöses zwischen den beteiligten Grundpfandgläubigern dar (Fortführung von BGH NZI 2014, 450, dort Rn. 22 und 2015, 550, dort Rn. 12).
Normenkette
BGB § 268; InsO § 129 Abs. 1, § 133 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 21.01.2019; Aktenzeichen 13 O 371/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 25.04.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des vorliegenden Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 32.226,89 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der klagende Insolvenzverwalter macht gegen den Beklagten einen Rückgewähranspruch nach Insolvenzanfechtung geltend.
1. Die Insolvenzschuldnerin B. (im Folgenden: Schuldnerin) und ihr Ehemann waren selbständig tätig und hatten jeweils ein Einzelgewerbe angemeldet. Die Schuldnerin erbrachte Buchhaltungsdienstleistungen, ihr Ehemann war als "Consultant" tätig. Zur Einkommensteuer wurden die Ehegatten gemeinsam veranlagt, im Übrigen unterlagen sie getrennt für ihr jeweiliges Gewerbe der Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerpflicht. Im Jahr 2015 führte das zuständige Finanzamt ... Betriebsprüfungen bei der Schuldnerin und ihrem Ehemann durch, die zu erheblichen Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuernachforderungen für die Jahre 2010 bis 2012 führten. Mitte des Jahres 2016 erweiterte das Finanzamt die Prüfung auf die Jahre 2013 und 2014 und setzte Steuervorauszahlungen für die Jahre 2016 und 2017 fest. Die Schuldnerin und ihr Ehemann versuchten in der Folge, sich liquide Mittel zur Tilgung u.a. der Steuerverbindlichkeiten zu verschaffen und führten Kreditverhandlungen mit verschiedenen Banken. Währenddessen leitete das Finanzamt ... die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin und ihren Ehemann ein, wobei ein Vollstreckungsversuch durch einen Vollstreckungsbeamten am 03.08.2016 fruchtlos blieb.
Die Schuldnerin und ihr Ehemann waren jeweils hälftige Miteigentümer des unbebauten Grundstücks A-Straße ... und des Hausanwesens D-Straße ..., beide im Grundbuch von ... eingetragen unter Blatt ... (Anlage K 9). Am 01.08.2016 beantragte das Finanzamt ... die Eintragung einer Sicherungshypothek für den Beklagten bezüglich des Miteigentumsanteils der Schuldnerin an dem Grundstück D-Straße ... wegen Umsatzsteuerverbindlichkeiten für die Jahre 2010, 2011, 2012, 2015, 2016 in einer Gesamthöhe von 31.217,56 EUR (Anlage K 17). Die Sicherungshypothek wurde am 04.08.2016 drittrangig in das Grundbuch eingetragen. Ebenfalls am 01.08.2016 beantragte das Finanzamt ... die Eintragung einer weiteren Sicherungshypothek für den Beklagten gegen die Schuldnerin und ihren Ehemann am Grundstück A-Straße ... wegen Einkommensteuerschulden für die Jahre 2010, 2011, 2012 in einer Gesamthöhe von 48.905,34 EUR (Anlage K 19). Diese Sicherungshypothek wurde fünftranging am 17.08.2016 in das Grundbuch eingetragen. Zudem erließ das Finanzamt ... wegen der vorgenannten Einkommensteuer- und Umsatzsteuerrückstände der Schuldnerin und ihres Ehemannes Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 13.10.2016 gegen die Drittschuldnerin ... Lebensversicherungs AG (Anlage K 20) in einer Gesamthöhe von 77.887,42 EUR, vom 10.11.2016 gegen die Y-Bank (Anlage K 21) in einer Gesamthöhe von 87.199,69 EUR und vom 18.11.2016 gegen die Z-Kasse (Anlage K 22) in einer Gesamthöhe von 87.222,69 EUR.
Aufgrund dieser Zwangsvollstreckungsmaßnahmen konnten die Schuldnerin und ihr Ehemann faktisch nicht mehr über ihre Bankkonten verfügen, sodass letztlich auch ihre Versuc...