Leitsatz (amtlich)
Unterscheidungskriterien zwischen Neuerteilung und Ersatzausstellung bei EU-Fahrerlaubnis
1. Bei der für eine Strafbarkeit nach § 21 StVG relevanten Frage, ob von einer Neuerteilung oder lediglich von einer Ersatzausstellung einer EU-Fahrerlaubnis auszugehen ist, ist bereits im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung zu beachten:
a) Deutschland ist als Aufnahmemitgliedsstaat grundsätzlich verpflichtet, die von anderen Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine anzuerkennen und grundsätzlich nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag seiner Ausstellung diese Voraussetzungen erfüllte (vgl. EuGH, Urteil vom 01.03.2012 - C-467/10 = NJW 2012, 1341 f.).
b) Diese unionsrechtliche Anerkennungspflicht gilt nur für solche in einem anderen Mitgliedstaat neu erworbenen Fahrerlaubnisse, deren Erteilung - auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben - eine Eignungsüberprüfung des Bewerbers vorangegangen ist. Wenn eine solche Eignungsprüfung nicht stattgefunden hat, ist aber auch der Beweis nicht erbracht, dass der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins die Anforderungen, die sich aus den einschlägigen EU-Richtlinien für die Erteilung einer Fahrerlaubnis ergeben, erfüllt hat (u.a. Anschluss an BayVGH, Beschluss vom 18.01.2010 - 11 CS 09.2079 sowie BayVGH Beschluss vom 29.05.2012 - 11 CS 12.171 [bei [...] unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 19.02.2009 - C-321/07 = DAR 2009, 191 ff. sowie BVerwG, Urteil vom 29.01.2009 - 3 C 31/07 = zfs 2009, 298 und BVerwG, Beschluss vom 08.09.2011 - 3 B 19.11 = zfs 2012, 597 ff.).
c) Sowohl Art. 7 der 2. EU-Führerscheinrichtlinie als auch Art. 7 der 3. EU-Führerscheinrichtlinie setzen mit Blick auf die unionsrechtliche Anerkennungsverpflichtung den Nachweis über das Bestehen einer vorangegangenen Eignungsprüfung voraus. Hiervon abzugrenzen ist sowohl die in Art. 8 V der 2. EU-Führerscheinrichtlinie bzw. in Art. 11 V der 3. EU-Führerscheinrichtlinie geregelte "Ersetzung" eines Führerscheins infolge insbesondere von Verlust oder Diebstahl als auch die im Rahmen von Art. 7 II, III der 3. EU-Führerscheinrichtlinie nunmehr ausdrücklich geregelte und bereits nach Art. 7 II der 2. EU-Führerscheinrichtlinie vorausgesetzte "Erneuerung" des Führerscheins nach Ablauf der festgesetzten Gültigkeitsdauer.
d) Nimmt ein (neueres) Führerscheindokument hinsichtlich des Tages des Erwerbs der Fahrerlaubnis auf die Angaben in einen (älteren) Führerscheindokument Bezug, stellt dies ein gegen eine (Neu-) Erteilung sprechende, gewichtiges Indiz dar, das auf einer vom Ausstellermitgliedsstaat herrührenden öffentlichen Urkunde beruht und im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist, auch wenn grundsätzlich keine Befugnis besteht, die Beachtung der Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen.
2. Nimmt ein (neueres) Führerscheindokument hinsichtlich des Tages des Erwerbs der Fahrerlaubnis auf die Angaben in einen (älteren) Führerscheindokument Bezug, so ist für der Beurteilung der Frage, ob ein sog. Wohnsitzverstoß vorliegt, auf die Eintragung in dem älteren Führerscheindokument abzustellen (u.a. Anschluss an BayVGH, Beschluss vom 18.01.2010 - 11 CS 09.2079; VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 27.10.2009 - 10 S 2024/09; BayVGH, Beschluss vom 02.05.2012 - 11 ZB 12.836 und BayVGH, Beschluss vom 29.05.2012 - 11 CS 12.171 sowie Entscheidungen des EuGH vom 13.10.2011 - C - 224/10 [Appelt] = NJW 2012, 369 sowie vom 22.11.2011 - C - 590/10 [Köppel] = DAR 2012, 198.).
Normenkette
StVG § 21; FeV §§ 28-29; Richtlinie 91/439/EWG Art. 7 Abs. 2, Art. 8 Abs. 5; Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2-3, Art. 11 Abs. 5, Art. 16 Nrn. 1, 18; StPO § 267 Abs. 5
Tatbestand
Dem Angekl. liegt nach der zugelassenen Anklage zur Last, am 20.11.2009 gegen 11.10 Uhr einen mit tschechischen Kennzeichen versehenen Pkw auf der Staatsstraße in S. ohne gültige Fahrerlaubnis geführt zu haben. Mit seit 26.01.1999 unanfechtbarer Entscheidung des LRA vom 18.12.1998 sowie mit seit 09.05.2000 unanfechtbarer Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde vom 05.04.2000 war dem Angekl. die Fahrerlaubnis entzogen worden. Am 29.09.2004 ließ sich der Angekl. eine tschechische Fahrerlaubnis ausstellen, in der als Wohnort 'S.-Bach, Bundesrepublik Deutschland' eingetragen ist. In einer weiteren für den Angekl. am 06.02.2006 ausgestellten tschechischen Fahrerlaubnis wurde demgegenüber als sein Wohnort nunmehr die tschechische Stadt 'As' und als Erteilungszeitpunkt jedoch wiederum der 29.09.2004 eingetragen. Mit am 03.03.2009 persönlich zugestelltem Schreiben vom 26.02.2009 wies das LRA den Angekl. darauf hin, dass insoweit lediglich von einem Ersatzführerschein auszugehen sei, weshalb sich der Angekl. zur Tatzeit aufgrund eines Verstoßes gegen das Wohnsitzprinzip nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis befunden habe.
Das AG hat ...