Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationale Zuständigkeit: Gerichtsstand des Erfüllungsortes bei Inanspruchnahme des Bürgen aus der Bürgschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Abweichend von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO können in einem Vertragsstaat ansässige natürliche oder juristischen Personen vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaates verklagt werden, wenn dort einer der in den Abschnitten 2 bis 7 des Kapitels I der EuGVVO genannten Wahlgerichtsstände besteht.
2. Für die Inanspruchnahme des Bürgen aus einer Bürgschaft ist der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO eröffnet.
3. Erfüllungsort für die Verpflichtung des Bürgen aus der Bürgschaft ist dessen Wohnort zum Zeitpunkt der Begrün-dung des Bürgschaftsverhältnisses; eine nachfolgende Ver-legung des Wohnsitzes ändert an dem einmal begründeten Gerichtsstand des Erfüllungsortes nichts mehr.
Normenkette
BGB § 269 Abs. 1; EGV 44/2001 Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Nr. 1 Buchst. a, Art. 25; InsO §§ 180, 184; ZPO § 29 Abs. 1, §§ 256, 538
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Zwischenurteil des Landgerichts Braunschweig vom 21.11.2018 (9 O 2277/18) aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsrechtszuges an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf eine Wertstufe bis 100.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Beklagte war Gesellschafter und Geschäftsführer der M. M. S. B. GmbH, die nach der Verlegung ihres Sitzes von B. nach H. unter der Bezeichnung "M. M. S.-B. GmbH" firmierte.
Zur Sicherung von Darlehen der Klägerin für die Gesellschaft übernahm der Beklagte am 19.07.2010 eine selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 500.000,00 EUR (Anlage K3) und am 24.04.2012 eine weitere Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 400.000,00 EUR (Anlage K6). Wegen des Inhalts der Bürgschaftserklärungen und der diesen beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin wird auf die Anlagen K3 und K6 Bezug genommen.
Die Darlehensbeträge wurden an die Gesellschaft ausgezahlt.
Nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 06.11.2012 (Anlage K8) kündigte die Klägerin die Geschäftsverbindung fristlos und meldete ihre Forderungen - nach offenbar zwischenzeitlich erfolgter Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft - zur Insolvenztabelle an. Dort wurde ein Betrag in Höhe von 1.693.319,30 EUR rechtskräftig zur Insolvenztabelle festgestellt.
Mit Schreiben vom 10.01.2013 nahm die Klägerin den Beklagten aus den übernommenen Bürgschaften in Anspruch und forderte den Beklagten unter Fristsetzung zur Zahlung von 900.000,00 EUR auf.
Nach gescheiterten Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien beantragte die Klägerin am 24.09.2015 bei dem Amtsgericht - Insolvenzgericht - Braunschweig, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten zu eröffnen. Der vom Insolvenzgericht bestellte Sachverständige bejahte trotz der Angabe des Beklagten, nunmehr in C./Elsass wohnhaft zu sein, die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Braunschweig für das Insolvenzverfahren und führte zur Begründung aus, dass es sich nach seinen Ermittlungen bei der vom Beklagten angegebenen Adresse in C. nur um einen Scheinwohnsitz handele.
Das Insolvenzverfahren wurde durch das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Braunschweig mit Beschluss vom 15.01.2016 (Geschäftsnummer xxx) eröffnet (Anlage K32).
Die Klägerin meldete daraufhin ihre Bürgschaftshauptforderung in Höhe von 900.000,00 EUR nebst Zinsen und Kosten, mithin insgesamt 1.022.528,78 EUR zur Insolvenztabelle an (Anlage K33). Im Berichts- und Prüfungstermin legte der Beklagte gegen die angemeldete Forderung Widerspruch ein, die Forderung wurde jedoch in voller Höhe zur Tabelle festgestellt.
Die Klägerin hat am 30.04.2018 Klage auf Feststellung der Forderung zunächst zum Amtsgericht Braunschweig erhoben. Gemäß Postzustellungsurkunde vom 07.05.2018 (Bl. 22 d.A.) ist die Klageschrift dem Kläger unter der Anschrift S.Straße 35 in B. zugestellt worden, woraufhin die unter dieser Anschrift wohnhafte Frau R. K. mit Schreiben vom 11.05.2018 (Bl. 24 d.A.) mitgeteilt hat, der Beklagte sei wohnhaft unter der Anschrift "7c rue C., C.".
Nachdem das Amtsgericht den Streitwert vorläufig auf die Wertstufe bis zu 100.000,00 EUR festgesetzt hat, hat es sich für unzuständig erklärt und mit Beschluss vom 11.06.2018 (Bl. 34 d.A.) den Rechtstreit an das Landgericht Braunschweig verwiesen.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Landgericht Braunschweig sei international und örtlich zuständig. Soweit der Beklagte vortrage, er sei nunmehr in C./Elsass wohnhaft, handele es sich insoweit lediglich um einen Scheinwohnsitz. Tatsächlich sei der Beklagte noch unter der Anschrift S. Straße 35 in B. wohnhaft, während sein Aufenthalt unter der für C. angegebenen Adresse nicht feststellbar sei.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beant...