Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung der Vormundschaft; Eintritt der Volljährigkeit nach dem Recht des Staates Gambia
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beendigung der Vormundschaft nach §§ 1882, 1773 BGB ist die Volljährigkeit des Mündels gemäß Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich nach dem Recht des Staates zu bestimmen, dem das Mündel angehört.
2. Mangels hinreichend sicherer Feststellbarkeit des Rechts des Staates Gambia ist der Eintritt der Volljährigkeit eines Mündels mit gambischer Staatsangehörigkeit unter Anwendung deutschen Rechts als Ersatzrecht zu beurteilen.
Normenkette
BGB § § 1674 Abs. 1, § 1773 Abs. 1, § 1882; EGBGB Art. 24 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Bremen (Beschluss vom 27.06.2016; Aktenzeichen 61 F 984/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Amtes für Soziale Dienste - Fachdienst Amtsvormundschaft - (nachfolgend: Jugendamt) wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bremen vom 27.6.2016 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Vormundschaft des Jugendamts für die am [...] 1997 in Gambia geborene A. seit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Mündels beendet ist.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das AG - Familiengericht - Bremen hat mit Beschluss vom 16.4.2014 (Gesch.-Nr. 61 F 983/14) das Ruhen der elterlichen Sorge für die am [...] 1997 in Gambia geborene A. festgestellt, die im Februar 2014 unbegleitet in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und gambische Staatsangehörige ist. Zugleich hat es das Jugendamt zum Vormund für die Betroffene bestellt. Der von dem Jugendamt mit Schreiben vom 13.1.2015 vertretenen Auffassung, die Vormundschaft sei aufgrund der Vollendung des 18. Lebensjahres der Betroffenen beendet, ist das Familiengericht durch Schreiben vom 21.1.2015 entgegengetreten. Mit weiterem Schreiben vom 10.2.2016 hat das Jugendamt das Familiengericht um Entlassung aus der Vormundschaft gebeten. Diesen Antrag hat das Familiengericht durch Beschluss vom 27.6.2016 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Vormundschaft erst am 13.1.2018 ende, weil in Gambia die Volljährigkeit erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres eintrete.
Gegen diese Entscheidung, die ihm am 20.7.2016 zugestellt worden ist, wendet sich das Jugendamt mit seiner Beschwerde vom 25.7.2016, mit der es sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
II.1. Die Beschwerde des Jugendamtes ist nach § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 (EuEheVO - Brüssel IIA-VO) sind die deutschen Gerichte für das vorliegende Verfahren international zuständig (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 23.2.2016, Gesch.-Nr. 4 UF 186/15, juris = FamRZ 2016, 990 - nur Ls.; FamRZ 2013, 312, 313; OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, 1820, 1822; 2182, 2183). Diese Verordnung ist stets anwendbar, wenn - wie die hier Betroffene - das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Staat hat. Sie genießt insoweit nach Art. 61a) EuEheVO Vorrang gegenüber dem Haager Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (KSÜ). Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich gemäß Art. 1 Abs. 2b EuEheVO auch auf die Vormundschaft, so dass für ein Kind, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, gemäß §§ 1773 ff. BGB ein Vormund bestellt werden kann (vgl. MünchKommBGB/Siehr, 6. Aufl., Art. 8 EuEheVO Rn. 26). Dass die Minderjährigkeit der Betroffenen zweifelhaft ist, hat keinen Einfluss auf die hier gegebene internationale Zuständigkeit. Da die Frage der Minderjährigkeit notwendige Voraussetzung sowohl für die vom Jugendamt begehrte Feststellung der Beendigung der Vormundschaft als auch für die gerichtliche Zuständigkeit ist, handelt es sich bei ihr um eine so genannte doppelrelevante Tatsache. Bei dieser Sachlage ist für die Zuständigkeitsfrage zu unterstellen, dass die Betroffene noch Kind i.S. des Art. 8 EuEheVO ist (vgl. BGH, NJW 2010, 873, 874; OLG Bremen, Beschl. v. 23.2.2016, Gesch.-Nr. 4 UF 186/15, juris = FamRZ 2016, 990 - nur Ls.; OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, 2182, 2183).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die im angefochtenen Beschluss vom Familiengericht vertretene Auffassung, die Vormundschaft ende erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres der Betroffenen, erweist sich nach Prüfung durch den Senat letztlich als unzutreffend.
Da die Betroffene als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland gelangt ist, hat das Familiengericht im April 2014 zu Recht gemäß § 1674 Abs. 1 BGB das Ruhen der elterlichen Sorge ihrer Eltern festgestellt und ihr zugleich gemäß § 1773 Abs. 1 BGB das Jugendamt als Vormund bestellt. Gemäß § 1882 BGB endet die Vormundschaft mit dem Wegfall der in § 1773 BGB ...