Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Überwachungspflichten des Eigentümers einer Verkehrsfläche bei der Anbringung von Markierungsstreifen auf dem Bodenpflaster
Leitsatz (amtlich)
1. Überträgt der Eigentümer einer Verkehrsfläche einem Dritten die Aufgabe der Auswahl und Anbringung von Markierungsstreifen auf dem Bodenpflaster, dann verbleibt dennoch jedenfalls die fortlaufende Pflicht zur Überwachung der Markierungen beim Eigentümer.
2. Der Eigentümer einer hochfrequentierten Verkehrsfläche genügt auch mit einer täglichen Kontrolle der Verklebung auf dem Bodenpflaster angebrachter Markierungsstreifen seinen Verkehrssicherungspflichten nicht, wenn bekannt ist, dass sich diese Streifen jederzeit lösen und damit unmittelbar zu einer Gefahr führen können. Ein Schutz gegenüber einer solchen bekannten und jederzeit möglichen Gefahr kann mit einer lediglich periodischen Überwachung nicht sichergestellt werden.
3. In Bezug auf einen unbezifferten Feststellungsantrag ist der Erlass eines Grundurteils unzulässig.
4. Macht ein Kläger Schadensersatzansprüche im Wege einer Klagehäufung aus Zahlungs- und Feststellungsanträgen geltend und ergeht dann ein Grundurteil lediglich über die bezifferten Zahlungsanträge, ohne dass zugleich auch im Wege eines Teil-Endurteils über die Feststellungsanträge entschieden wird, so liegt der Fall eines wegen der Gefahr widersprechender Entscheidungen unzulässigen Teilurteils vor. Von der für den Fall eines unzulässigen Teilurteils bestehenden Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO kann aber abgesehen werden, wenn das Berufungsgericht aus Gründen der Sachdienlichkeit die Entscheidung über den in erster Instanz noch nicht entschiedenen Teil an sich ziehen und damit die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausräumen kann.
Normenkette
BGB § 823; ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 1 O 1244/17) |
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 11. Oktober 2016 mit einer Haftungsquote von 100 % zu ersetzen.
II. Die Berufung der Beklagten gegen das als Grundurteil bezeichnete Teil-Grundurteil des Landgerichts Bremen vom 15. Mai 2019 (Az. 1 O 1244/17) wird zurückgewiesen und das Verfahren wird zur Durchführung des Betragsverfahrens über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen.
III. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Der Gegenstandswert wird auf EUR 31.063,68 festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund der Geltendmachung einer Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend.
Der Kläger, ein selbständiger Taxifahrer, stürzte am 11.10.2016 um ca. 07.30 Uhr unmittelbar vor dem Eingang ... des A.-Bahnhofs, dessen Eigentümerin die Beklagte als Stadtgemeinde ... ist.
Zu diesem Zeitpunkt waren auf der Pflasterung gelbe Markierungsbänder angebracht, um für die Dauer des Aufbaus und der Durchführung des B.-Markts einen Sicherheitsbereich vor dem Ein- und Ausgangsbereich ... des A.-Bahnhofs zu kennzeichnen. Die Einrichtung des Sicherheitsbereichs erfolgte durch die Marktverwaltung in Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden.
Bei den Markierungsbändern handelte es sich um ein Markierungssystem Typ .... Die Anbringung der Markierungsstreifen erfolgte durch die Streitverkündete, die hierzu von der Beklagten beauftragt worden war.
Der Kläger erlitt durch den Sturz eine Oberarmkopftrümmerfraktur links, eine Prellung der linken Hand und eine Prellung des rechten Knies. Er wurde bis zum 17.10.2016 stationär behandelt, war bis zum 31.12.2017 arbeitsunfähig krankgeschrieben; ab dem 02.01.2017 erfolgte eine dreiwöchige Wiedereingliederung. Im März 2018 erfolgte eine weitere Operation mit Krankschreibung vom 01.03. bis 14.03.2018 sowie ambulante Behandlungen bis zum 26.03.2018.
Zum Unfallhergang hat der Kläger vor dem Landgericht behauptet, er sei auf dem Klebstoffrest eines Markierungsstreifens bzw. auf einem solchen Markierungsstreifen ausgerutscht oder habe sich mit seinem Fuß in einer Schlinge des abgelösten Markierungsbandes verfangen und sei deshalb gestolpert.
Die gewählten Markierungsbänder seien zur Absperrung eines Bereichs in der Fußgängerzone nicht geeignet gewesen. Die Bänder seien quer über das Pflaster verlegt worden, wobei die Zwischenräume zwischen den Platten nicht verklebt worden seien und hier Feuchtigkeit habe eindringen können. Zudem seien bei der Verlegung die Vorgaben des Herstellers nicht beachtet worden. Es sei durch das feuchte und kühle Wetter ein "Schmierseifeneffekt" aufgetreten und die Markierungsstreifen hätten sich abgelöst und auch Schlaufen bzw. Stolperfallen gebildet.
Die von den Markierungsbändern ausgehenden Gefahren seien für Besucher des Bahnhofs weder erkennbar noch beherrschbar gewesen; Kontrollen durch die Beklagte hätten nicht stat...