Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbrecht, hier: Voraussetzungen und Grenzen der Anwendung der Zweifelsregelung des § 2166 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. § 2166 BGB ist auch dann entsprechend auf die mit einer Grundschuld an einem vermachten Grundstück gesicherte Darlehnsforderung anzuwenden, wenn das Darlehen zur Erwerbsfinanzierung eines anderen Grundstücks genutzt worden ist.
2. Die Zweifelsregel des § 2166 BGB greift nicht ein, wenn ein entgegengesetzter Wille des Erblassers erwiesen ist (Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 6.12.2007, BeckRS 2009, 87887).
3. Ein die Anfechtung der Annahme einer Erbschaft rechtfertigender Grund kann auch darin liegen, dass der anfechtende Miterbe davon ausgeht, dass eine zur Überschuldung des Nachlasses führende Nachlassverbindlichkeit infolge von § 2166 BGB von dem anderen Miterben allein zu tragen ist.
4. Die bloße schriftliche Erklärung des ein Testament des Erblassers beurkundenden Notars zu den Vorstellungen des Erblassers bei dessen Abfassung kann unter Umständen nicht ausreichend sein, um dem Anfechtungsberechtigten die hinreichende Kenntnis von den Umständen zu vermitteln, die auf eine Überschuldung des Nachlasses schließen lassen (hier: Entfallen der Zweifelregelung des § 2166 BGB infolge entgegenstehenden Willens des Erblassers).
5. Der Anfechtungsberechtigte ist in diesem Fall auch nicht gehalten, zur Wahrung der Anfechtungsfrist eine sog. Eventualanfechtung zu erklären, weil es sich bei der Frage des Erblasserwillens nicht um eine Rechtsbedingung handelt.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 2, § 426 Abs. 1, § 1954 Abs. 1, § 1957 Abs. 1, §§ 2032, 2166
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 4 O 1507/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen, 4. Zivilkammer, vom 16.03.2020 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 92.235,59 EUR.
Gründe
I. Die Parteien sind je zu 1/2 die alleinigen Erben ihrer am 29.12.2015 verstorbenen Mutter [...] (Erblasserin). In deren von dem Notar S. beurkundeten Testament vom 21.04.2015 (Anl. K 1 = Bl. 8 d.A.) hatte diese die Parteien zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt und zudem unter Ziffer III. in einem Vorausvermächtnis verfügt:
"Mein Hausgrundstück (Mehrfamilienhaus) in Bremen, A.-straße, eingetragen im Grundbuch..., einschließlich darauf ruhender Belastungen erhält im Wege des Vorausvermächtnisses
mein Sohn, Herr H.H.S.)
geboren...
wohnhaft...
Diese Vermächtnisanordnung erfolgt vor dem Hintergrund, dass meine Tochter bereits zu Lebzeiten das Hausgrundstück (Einfamilienhaus) W.-Straße, Bremen, ... lastenfrei erhalten hat."
Das erwähnte Haus in der W -Str., das von der stark sehbehinderten Erblasserin über lange Jahre mit ihrem 2012 verstorbenen Lebenspartner bewohnt worden war, hatte die Beklagte im Jahre 2013 zu einem Kaufpreis von 160.000,00 EUR erworben. Finanziert wurde der Kaufpreis durch ein von der Erblasserin bei der X-Bank in Bremen aufgenommenes Darlehen mit einer Valuta von 170.000,00 EUR, welches die Erblasserin bediente, die auch die Nebenkosten des Erwerbs übernahm. In diesem Zusammenhang gewährte die Beklagte der Erblasserin ein Wohnrecht, welches diese bis zu ihrem Tode auch in Anspruch nahm. Besichert wurde das Darlehen über eine Buchgrundschuld mit einem Betrag von 170.000,00 EUR, die an dem Objekt A.-str. 121 eingetragen wurde (Abt. III lfd. Nr. 14). Nach dem Tode der Erblasserin übertrug die Beklagte dem Kläger in Erfüllung des Vorausvermächtnisses das Eigentum an dem Grundstück A.- str.; der Wert des Grundstücks wurde dabei mit 280.000,00 EUR angegeben (vgl. Anl. B 1 = Bl. 45 ff. d.A.). Der Kläger löste die Grundschuld durch Zahlung von insgesamt 184.471,19 EUR ab. Ausweislich eines vom Kläger vorgelegten Nachlassverzeichnisses belief sich der Aktivnachlass (unter Einbeziehung einer zwischen den Parteien strittigen Darlehnsforderung auf 20.123,65 EUR und der Passivnachlass (unter Einbeziehung der Darlehnsschuld gegenüber der X-Bank) auf 175.614,67 EUR (vgl. Anl. K 2 = Bl. 11 d.A.).
Der Kläger hat die Beklagte als Miterbin auf Zahlung der Hälfte des Darlehnsbetrages (und - nur in erster Instanz - auf die Rückzahlung eines ihr angeblich gewährten Darlehns) in Anspruch genommen. Die Beklagte hat mit notariell beglaubigtem Schreiben vom 19.08.2019 (Anlage B 4 = BI. 178f. d.A.) gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht die Anfechtung der Annahme der Erbschaft nach ihrer Mutter sowie deren Ausschlagung wegen Irrtums mit der Begründung erklärt, dass sie im Hinblick auf den Verlauf des Rechtsstreits davon ausgehen müsse, dass der Nachlass überschuldet sei, was sie bei Annahme der Erbschaft nicht gewusst habe.
Der Kläger hat vorgetragen, die Erblasserin habe nicht gewollt, dass mit dem Eigentum am belasteten Vermächtnisgrundstück auch die durch die Grundschuld besicherte persönliche Darlehnsschuld im Verhältnis zur Erbengemeinschaft auf ihn habe übergehen sollen. Das ...