Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Anforderungen an eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Fahrzeug
Leitsatz (amtlich)
1. Verwendet der Motorenhersteller eine außentemperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung, in der eine unzulässige Abschalteinrichtung liegen könnte, kann der Vorwurf des die Sittenwidrigkeit begründenden besonders verwerflichen Verhaltens der für den Hersteller handelnden Personen nicht allein darauf gestützt werden, dass der Hersteller gegenüber der Typengenehmigungsbehörde unaufgefordert keine näheren Angaben zur Wirkungsweise eines offengelegten Thermofensters gemacht hat.
2. Eine Abschalteinrichtung, die die Abgasreinigung nur während des Betriebes im NEFZ optimiert, vermag auch bei angenommener Unzulässigkeit den Vorwurf der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der Erwerber des Fahrzeuges dann nicht zu rechtfertigen, wenn die Emissionsgrenzwerte im NEFZ auch ohne die Verwendung der Abschalteinrichtung eingehalten werden (fehlende Grenzwertkausalität).
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 3 O 1445/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 07.05.2021 - Az. 3 O 1445/20 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
3. Das Urteil des Senats sowie das Urteil des Landgerichts Bremen vom 07.05.2021 - Az. 3 O 1445/20 - sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert der Berufung wird auf 18.051,98 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des vom Kläger erworbenen Pkw Schadensersatz wegen einer vermeintlich vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 06.12.2017 einen von der Beklagten hergestellten VW Caddy Maxi Trendline 2.0 TDI als Neufahrzeug bei einem Anfangskilometerstand von 10 Km zu einem Kaufpreis von 23.200,- EUR. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter Motor der Baureihe EA 288 (Euro 6) verbaut, dessen Abgase anhand einer Abgasrückführung und eines SCR-Katalysators mittels Harnstofflösung (AdBlue) von Stickoxidemissionen gereinigt werden. Die Typengenehmigung für das Fahrzeug wurde im Jahr 2017 erteilt.
Unstreitig wird die Abgasreinigung abhängig von der Umgebungslufttemperatur gesteuert. Die genaue Ausgestaltung dieses Thermofensters ist zwischen den Parteien streitig. Außerdem ist es nach den Feststellungen des Landgerichts zwischen den Parteien unstreitig, dass die Software der Motorsteuerung anhand einer Fahrkurvenerkennung ermittelt, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand betrieben wird und dass anknüpfend daran die AdBlue-Einspritzung außerhalb des Prüfstandsbetriebs reduziert wird.
Hinsichtlich des Tatbestandes im Übrigen und des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bremen Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 18.761,01 EUR Zug-um-Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges und auf Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Ein Anspruch aus § 826 BGB sei nicht gegeben, da ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht dargelegt worden sei. Soweit der Kläger behaupte, dass die Motorsteuerung die Abgasrückführung außerhalb eines Thermofensters abregele, das tatsächlich enger gefasst sei als von der Beklagten zugestanden, so fehle es an hinreichend konkreten Anhaltspunkten für diesen Vortrag. Auch der Umstand, dass in der Vergangenheit ein Fahrzeug der Beklagten mit einem Motor der Baureihe EA 288 Gegenstand eines Rückrufes durch das Kraftfahrtbundesamt gewesen sei, reiche insoweit nicht aus. Dieser Rückruf sei auch nach Darstellung des Klägers auf einen T6 bezogen gewesen und sei auf eine Konformitätsabweichung gestützt worden, nicht auf eine unzulässige Abschalteinrichtung. Im Übrigen scheitere die Annahme der Sittenwidrigkeit auch daran, dass das Thermofenster gegenüber der Typengenehmigungsbehörde offengelegt worden sei.
Soweit unstreitig sei, dass in der Motorsteuerung eine Fahrkurvenerkennung zum Einsatz gekommen sei, die nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin auch Einfluss auf die Dosierung des im SCR-Katalysator eingesetzten AdBlue nehme, so liege darin jedenfalls kein sittenwidriges Verhalten. Aus den diversen von der Beklagten vorgelegten Stellungnahmen des Kraftfahrtbundesamtes zu Fahrzeugen mit einem Motor der streitgegenständlichen Baureihe ergebe sich, dass nach Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten würden. Angesichts dessen werde im Realbetrieb nicht in eine Konfiguration umgeschaltet, die auf dem Prüfstand die Emissionsgrenzwerte nicht einhalte. Dann aber sei für den Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung kein Raum, w...