Entscheidungsstichwort (Thema)
Thermofenster als Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007
Leitsatz (amtlich)
Eine Steuerung der Abgasrückführung zur Reinigung der Abgase eines Pkw von Stickoxiden, die bei Außentemperaturen unterhalb von -24º C und oberhalb von +70º C die Abgasrückführung abschaltet, stellt keine Abschalteinrichtung i.S. von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 dar, weil ein solches Thermofenster alle Temperaturzonen umfasst, in denen eine Nutzung des Fahrzeugs normalerweise stattfindet (Anschluss an OLG Dresden, Beschluss vom 7. Juli 2023 - 3 U 1889/22 -, Rn. 31, juris; Urteil vom 29. August 2023 - 3 U 852/23 -, Rn. 35, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Juli 2023 - 7 U 4/21 -, Rn. 3, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juli 2023 - I-13 U 527/21 -, Rn. 115 f., juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 18. Dezember 2023 - 16a U 1115/22 -, Rn. 13 ff., juris; OLG Celle, Urteil vom 18. Oktober 2023 - 7 U 67/23 -, Rn. 77, juris).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 8 O 2350/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.08.2021 - Az. 8 O 2350/20 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
3. Das Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.08.2021 - Az. 8 O 2350/20 - sowie das Urteil des Senats sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert der Berufung wird auf 24.230,92 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des von ihm erworbenen Fahrzeuges auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger erwarb im Oktober 2017 einen VW Touran 2.0 TDI SCR, 110 KW als Neuwagen. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe EA 288 ausgestattet, den die Beklagte entwickelt hat, und wurde nach der Abgasnorm EU6 zugelassen.
Mit der Klage macht der Kläger geltend, dass neben einem auf die Außentemperaturen des NEFZ zugeschnittenen Thermofensters auch anhand einer Zykluserkennung Einfluss auf die Abgasreinigung genommen und die Abgasreinigung unterschiedlich geregelt werde, je nachdem, ob die Motorsteuerung erkenne, dass das Fahrzeug im Prüfstand oder im Realbetrieb bewegt werde.
Der Kläger hat in I. Instanz zunächst Schadensersatz wegen des Abschlusses eines vermeintlich nachteiligen Vertrages in Höhe des von ihm aufgewendeten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Überlassung des Fahrzeuges verlangt.
Hinsichtlich des Tatbestandes und des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz im Übrigen einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.08.2021 Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Angesichts der vorgelegten und vom Gericht eingeführten Auskünfte des Kraftfahrtbundesamtes stehe fest, dass die vom Kläger behauptete Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters nicht vorliege. Unschädlich sei, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp bisher nicht untersucht worden sei, da es auf die Untersuchungen des Motortyps ankomme, nicht aber auf dessen Hülle. Angesichts dessen, dass das Kraftfahrtbundesamt die Motoren umfassend auf unzulässige Abschalteinrichtungen untersuche, fehle es selbst dann, wenn die Feststellungen des Kraftfahrtbundesamtes unrichtig seien, jedenfalls an einem sittenwidrigen Handeln, weil dann ein vertretbares Handeln anzunehmen sei.
Gegen dieses Urteil, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.08.2021 zugestellt worden ist, wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 20.09.2021, die am selben Tag bei Gericht eingegangen ist und die er innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 22.11.2021 begründet hat. Zunächst hat er sein ursprüngliches Prozessziel in ganz überwiegendem Umfang weiterverfolgt und den Zahlungsantrag lediglich um einen dreistelligen Betrag wegen fortschreitender Nutzungen reduziert. Inzwischen begehrt der Kläger nur noch Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von mindestens 3.762,45 EUR nebst Zinsen und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Der Kläger rügt, dass das Landgericht sich allein mit einem Thermofenster, nicht aber mit der vom Kläger behaupteten Zykluserkennung befasst habe und vertieft insoweit sein Vorbringen weiter.
Nach teilweiser Rücknahme der Berufung beantragt der Kläger nunmehr,
1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs VW Touran, FIN: [...], dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens EUR 3.762,45 betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.308,40 EUR freizustellen.
D...