Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrenskosten und Strafrechtsentschädigung bei Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten
Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle einer Einstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ist das Ermessen über eine Kostenentscheidung zu seinen Lasten nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eröffnet, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei weiterer Hauptverhandlung eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur Feststellung der Schuld in Frage stellen.
2. Eine Entscheidung über den Ausschluss einer Entschädigung nach § 5 StrEG ist erst nach endgültiger strafrechtlicher Erledigung des historischen Geschehens, dem die Strafverfolgung zugrunde liegt, veranlasst.
Tenor
1. Unter Verwerfung der sofortigen Beschwerde im Übrigen wird die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch für die erlittene Untersuchungshaft und die einstweilige Unterbringung aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat.
Gründe
I.
Dem Angeklagten wurde mit Anklageschrift vom 13.03.2013 vorgeworfen, in der Zeit vom 10. bis 18.09.2012 im Zustand verminderter Schuldfähigkeit zwei Menschen getötet und zwei weitere Menschen gefährlich verletzt zu haben. Ausweislich der Anklageschrift kam auch die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht.
Wegen dieser Taten wurde der Angeklagte am 19.09.2012 vorläufig festgenommen und befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Celle vom 20.09.2012, zuletzt geändert am 14.03.2013, bis zum 26.03.2013 in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 26.03.2013 ordnete die 4. große Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Lüneburg die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
In der Hauptverhandlung erfolgte auf einen Antrag des Angeklagten hin dessen Begutachtung über seine Verhandlungsfähigkeit durch den Sachverständigen Dr. F. Im Ermittlungsverfahren hatten sich keine Hinweise auf eine etwaige Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ergeben. Der Sachverständige diagnostizierte dagegen eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit, die bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung vorgelegen habe.
Daraufhin stellte die Kammer das Verfahren am 22.05.2013 durch Prozessurteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO ein und legte der Landeskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten auf. Darüber hinaus ordnete sie eine Entschädigung für die Untersuchungshaft und für die einstweilige Unterbringung an.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Lüneburg und führt zur Begründung aus, das Landgericht hätte bei der Ermessensentscheidung über die Kosten und Auslagen auch auf die Bedeutung der Tatvorwürfe eingehen müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft tritt dem bei und weist ergänzend darauf hin, dass wegen der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten noch ein Sicherungsverfahren nach § 413 StPO durchgeführt werde.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen den Strafrechtsentschädigungsausspruch richtet, im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Das Landgericht Lüneburg hat die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt. Es hat von der Möglichkeit, im Falle einer Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses diese Auslagen dem Angeklagten aufzuerlegen (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO), keinen Gebrauch gemacht.
Nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann im Falle der Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Angeklagten der Landeskasse aufzuerlegen. Die Vorschrift setzt eine zweistufige Prüfung voraus. Zunächst ist zu prüfen, bei welchem Verdachtsgrad davon ausgegangen werden kann, die Verurteilung sei "nur deshalb nicht" erfolgt, weil ein Verfahrenshindernis besteht, sodann ist vom Tatgericht das Ermessen auszuüben, ob eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann.
a) Nach neuerer Rechtsprechung ist dem Tatgericht die Ermessensentscheidung eröffnet, wenn zum Zeitpunkt der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei weiterer Hauptverhandlung eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur Feststellung der Schuld in Frage stellen (in diesem Sinne OLG Rostock, Beschl. v. 15.01.2013, I Ws 342/12, zitiert nach juris; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 224; vgl. auch BGH NStZ 2000, 330; KG StraFo 2012, 289; OLG Köln, Beschl. v. 26.04.2012, 2 Ws 284/12, zitiert nach juris; OLG Jena NStZ-RR 2007).
Die ältere Rechtsprechung ging hingegen davon aus, eine Versagung der Auslagenerstattung komme nur dann in Betracht, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit eine Verurteilung erfolgt wäre (so noch KG StraFo 2005, 483; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 288). Diese Auffas...