Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsnatur des in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellten Ersatzführerscheins

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der in einem EU-Mitgliedsstaat aufgrund einer Verlust- oder Diebstahlsanzeige nach Art. 11 Abs. 5 der 3. FS-RL ausgestellte Ersatzführerschein ist - anders als der im Wege des Umtauschs einer in Deutschland erteilten Fahrerlaubnis erteilte Führerschein eines anderen EU-Mitgliedsstaates nach Art. 11 Abs. 2 der 3. FS-RL - nicht als "neue" Fahrerlaubnis anzusehen (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.01.2016, 1 Ss 106/15 - juris). Dies gilt auch dann, wenn der Ersatzführerschein erstmals eine Befristung nach Art. 7 Abs. 2.a der 3. FS-RL enthält.

2. Ist einem Verurteilten in Deutschland die von einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgestellte Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB rechtskräftig entzogen, zugleich eine Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 StGB angeordnet und dem Verurteilten nach Ablauf der Sperrfrist das Recht zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr in Deutschland nicht wiedererteilt worden, berechtigt ein für die entzogene Fahrerlaubnis von dem EU-Mitgliedsstaat nach Art. 11 Abs. 5, 3. FS- RL ausgestellter Ersatzführerschein nicht zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr in Deutschland, § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 3 FeV.

 

Normenkette

EGRL 126/2006 Art. 7 Abs. 2a, Art. 11 Abs. 2, 5; StGB § 69 Abs. 1, § 69a Abs. 1, § 69b Abs. 1 S. 1; FeV § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 3; StVG § 21 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 16.07.2019; Aktenzeichen 35 Ns 19/18)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16.07.2019 im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Höhe des einzelnen Tagessatzes der verhängten Einzelgeldstrafen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen, § 349 Abs. 2 StPO.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten in zwei Strafverfahren vom jeweils erhobenen Tatvorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, freigesprochen. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Hannover eingelegten Berufungen hat das Landgericht Hannover beide Verfahren zwecks gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. In der Berufungsverhandlung vom 16.07.2019 hat das Landgericht die erstinstanzlichen Urteile aufgehoben, den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu Einzelgeldstrafen von jeweils 30 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt und diese auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € zurückgeführt.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde dem Angeklagten die ihm im Jahr 2003 erteilte deutsche Fahrerlaubnis durch die R. H. mit Bescheid vom 14.09.2005 bestandskräftig entzogen. Im weiteren Verlauf erwarb der Angeklagte am 19.06.2008 in Polen einen polnischen Führerschein der Klasse B. Mit Strafbefehl vom 19.05.2012 ordnete das Amtsgericht Hannover die Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis an und bestimmte zugleich eine Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von noch 8 Monaten. Am 19.07.2013 erlangte der Angeklagte, nachdem er eine Verlustanzeige für den o.g. polnischen Führerschein abgegeben hatte, in Polen einen neuen polnischen Führerschein. Dieser enthielt im Gegensatz zu dem als verlustig gemeldeten Führerschein erstmals eine Befristung. Zudem enthielt die Spalte 12 des Führerscheins die Eintragung "71".

Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts befuhr der Angeklagte am 22.11.2016 sowie am 08.06.2017 jeweils in Hannover mit einem PKW öffentliche Straßen und wies sich bei der hierbei jeweils durchgeführten Polizeikontrolle mit dem am 19.07.2013 in Polen ausgestellten polnischen Führerschein aus.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei beiden Fahrten nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügt habe. Denn nach den getroffenen Feststellungen sei ihm weder eine neue deutsche Fahrerlaubnis erteilt noch die Berechtigung aus dem polnischen Führerschein vom 19.06.2008 zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr in Deutschland wieder zuerkannt worden. Bei dem am 19.07.2013 in Polen ausgestellten Führerschein habe es sich nicht um eine neue Fahrerlaubnis, sondern lediglich um einen Ersatzführerschein für den ihm am 19.06.2008 erteilten polnischen Führerschein gehandelt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Er macht geltend, bei den verfahrensgegenständlichen Taten zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr in Deutschland berechtigt gewesen zu sein. Zwar sei ihm die Berechtigung aus dem polnischen Führerschein vom 19.06.2008 im Jahr 2012 entzogen worden. Jedoch sei der nachfolgend ausgestellte polnische Führerschein vom 19.07.2013 als ...

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