Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsanspruch unter Miterben für den Fall einer Vollmacht, Abgrenzung zwischen Auftragsverhältnis und bloßer Gefälligkeit im Falle lange miteinander verheirateter Eheleute
Leitsatz (amtlich)
Es kann nicht allgemeingültig gesagt werden, dass bei Erledigung von Geldgeschäften für einen Familienangehörigen im Regelfall von einem Auftrag mit rechtlichen Verpflichtungen auszugehen ist. Es kommt auf den konkreten Einzelfall an. Gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillens und eines Auftragsverhältnisses spricht, dass bei Erteilung der Vollmacht eines Ehegatten gegenüber dem anderen die Ehe bereits seit mehr als 50 Jahren bestand. In einem solchen Fall dürfte jedenfalls von einer konkludenten Freistellung von Auskunftspflichten auszugehen sein.
Normenkette
BGB §§ 662, 666-667
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 5 O 350/21) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 6. Oktober 2022 verkündete Teilurteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu diesem Beschluss bis zum 6. Februar 2023 schriftsätzlich Stellung zu nehmen.
Bis zum 6. Februar 2023 können die Parteien zum Streitwert für das Berufungsverfahren Stellung nehmen.
Gründe
Der Senat hält die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO für gegeben. Insbesondere hat die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil begegnen keinen durchgreifenden Bedenken.
1. Die Klägerin ist nach dem Tod ihrer Mutter (Erblasserin) neben dem Beklagten, ihrem Vater, und dem am Rechtsstreit nicht beteiligten Bruder, Miterbin. Unter Miterben besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Auskunft. Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin der Erblasserin eigene Ansprüche auf Auskunft gegenüber Banken etwa im Hinblick auf Schließfächer, Depots und Konten, sowie eigene Ansprüche auf Einsichtnahme in das Handelsregister sowie in die zum Handelsregister eingereichten Dokumente; von den Eintragungen und den eingereichten Dokumenten kann sie Ausdrucke bzw. Abschriften verlangen (vgl. i.E. § 9 HGB).
Im Einzelfall kann zwar ein Anspruch auf Auskunft nach § 242 BGB bestehen (s. aber auch BGH, NJW 1980, 2463, zit. nach juris), einen solchen allerdings macht die Klägerin ausdrücklich nicht geltend. Sie beschränkt sich auf Ansprüche nach §§ 662, 666 BGB.
a) Nach dem Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 6. Januar 2023 dürfte die auf die §§ 662, 666 BGB gestützte Klage unschlüssig (geworden) sein.
Die von der Klägerin in Bezug genommene und als Anlage K2 vorgelegte Vollmacht datiert vom 22. Dezember 2008. In dem genannten Schriftsatz führt die Klägerin unter Bezugnahme auf einen ärztlichen Bericht vom 16. April 2008 aus, dass es der Erblasserin "gänzlich unmöglich" gewesen sei, "ihre geschäftlichen Angelegenheiten in eigener Person zu erledigen". Die Alzheimererkrankung sei der Anlass für die Unterzeichnung der Generalvollmacht vom 22. Dezember 2008 gewesen. Damit soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, dass die Erblasserin sich im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB zu dieser Zeit in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Dann liegt allerdings auch mangels Geschäftsfähigkeit der Erblasserin kein wirksamer Vertrag im Sinne von § 662 BGB vor.
b) Geht man unter Außerachtlassung dieser Bedenken von der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin aus, ist damit nicht die Frage geklärt, ob ein Vertragsverhältnis vorlag. Ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen der Erblasserin und ihrem Ehemann, dem Beklagten, nimmt die Klägerin ausweislich des Schriftsatzes vom 6. Januar 2023 nicht in Abrede.
Die Abgrenzung zwischen einem Auftragsverhältnis und einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis erfolgt mittels des Kriteriums des "Rechtsbindungswillens". Dieser ist "im konkreten Einzelfall nach Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Umstände und die Verkehrssitte" zu beurteilen (vgl. BGHZ 21, 102 ff.). "Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen inneren Willen des Leistenden zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Es kommt also darauf an, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstellt" (ebenda).
Für einen Rechtsbindungswillen kann sprechen, dass eine Angelegenheit erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat, was vorliegend in Anbetracht der Vermögensverhältnisse zweifelhaft erscheint. Besondere Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass ausweislich der notariellen Urkunde zur Vereinbarung der Gütertrennung vom 27. Juni 1958 (Anlage K1) bei Erteilung der "Generalvollmacht nebst Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung" die Ehe zwisch...