Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des rechtlichen Interesses eines Nebenintervenienten nach § 66 Abs. 1 ZPO, der geltend macht, eine durch das Gericht dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegte Frage sei für einen von ihm selbst durchgeführten Rechtsstreit von Bedeutung.

Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO folgt, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Es ist erforderlich, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt (BGH, Beschluss vom 18. November 2015 - VII ZB 2/15 -, BGHZ 207, 378-385, Rn. 11). Hierfür genügt es nicht, dass eine Frage, die das Gericht dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt hat, auch für einen vom Nebenintervenienten durchgeführten Rechtsstreit von Bedeutung ist.

 

Normenkette

AEUV Art. 267; ZPO § 66 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 10.05.2021; Aktenzeichen 13 O 24/19)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 5 gegen das Zwischenurteil des Landgerichts Hannover vom 10. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Die Nebenintervenientin zu 5 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der übrigen Nebenintervenientinnen.

 

Gründe

I. Die Nebenintervenientin zu 5 richtet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihrer Nebenintervention durch Zwischenurteil des Landgerichts vom 10. Mai 2021 (Bl. 526 ff. d.A.).

Die Klägerin macht in dem vorliegenden Rechtsstreit gegen die Beklagte als Teilnehmerin an dem sog. Lkw-Kartell Schadensersatzansprüche in Bezug auf zwei Müllfahrzeuge geltend, die sie von dieser in den Jahren 2006 und 2007 erwarb.

Die Europäische Kommission stellte mit Beschluss vom 19. Juli 2016 fest, dass die Beklagte und mindestens vier weitere Lkw-Hersteller durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6 gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen haben (AT.39824 - Lkw, Anlage K 1).

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19. Oktober 2020 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV die Frage vorgelegt, ob der vorgenannte Kommissionsbeschluss dahin auszulegen sei, dass auch Sonder-/Spezialfahrzeuge, insbesondere Müllfahrzeuge, von den Feststellungen dieser Kommissionsentscheidung erfasst seien (Bl. 262 ff. d.A.).

In dem seitdem ausgesetzten Rechtsstreit hat die Nebenintervenientin zu 5 mit Schriftsatz vom 15. Februar 2021 (Bl. 323 ff. d.A.) den Beitritt auf Seiten der Klägerin erklärt. Die Nebenintervenientin zu 5 macht mit einer vor dem Landgericht Düsseldorf anhängigen Klage Schadensersatzansprüche aufgrund des Lkw-Kartells gegen die Beklagte und weitere Adressaten des Kommissionsbeschlusses geltend. Die Beklagte hat dort eingewendet, dass mehrere streitgegenständliche Beschaffungsvorgänge Müllfahrzeuge bzw. sonstige "Sonder-/Spezialfahrzeuge" beträfen, die nicht vom Anwendungsbereich der Kommissionsentscheidung erfasst seien und auch nicht in anderer Weise kartellbefangen seien. Das Landgericht Düsseldorf hat das Verfahren im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Landgerichts Hannover nach § 148 ZPO ausgesetzt.

Die Nebenintervenientin zu 5 hat gemeint, sie habe ein rechtliches Interesse an dem Obsiegen der Klägerin nach § 66 Abs. 1 ZPO. Der Ausgang des hiesigen Verfahrens könne Auswirkungen auf den von ihr geführten Rechtsstreit haben, weil das Landgericht Düsseldorf an die Kommissionsentscheidung in der Auslegung gebunden sei, die der EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahren vornehmen werde (Bl. 324R d.A.).

Das Landgericht hat die Nebenintervention der Nebenintervenientin zu 5 auf Antrag der Beklagten mit Zwischenurteil vom 10. Mai 2021 (Bl. 436 ff. d.A.) zurückgewiesen, weil die Nebenintervenientin an dem Obsiegen der Klägerin kein rechtliches Interesse gemäß § 66 Abs. 1 ZPO habe. Ihr Interesse, in dem Vorabentscheidungsverfahren beteiligt zu werden und Einfluss auf die Vorabentscheidung des EuGH nehmen zu können, genüge hierfür nicht.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 5 (Bl. 468 ff. d.A.). Sie habe weiterhin das Ziel, sich an dem gesamten Verfahren vor dem Landgericht Hannover aktiv und prozessfördernd zu beteiligen. Ihr rechtliches Interesse am Obsiegen der Klägerin sei aufgrund der Bindungswirkung nach § 33 Abs. 4 GWB 2005 bzw. § 33b GWB 2017 gegeben; zudem ergebe es sich aus einer grundrechts- bzw. primärrechtskonformen Auslegung.

II. Die gemäß § 71 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 5 ist unb...

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