Entscheidungsstichwort (Thema)
Bürgschaft naher Angehöriger
Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, dass sich der Bürgschaftsbetrag auf nicht mehr als 20.000 DM beläuft, steht der Anwendung der vom BGH entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Bürge nur über relativ geringfügige Einkünfte verfügt.
2. Die Frage, ob die Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz und der Restschuldbefreiung es rechtfertigt, die Grenze für eine krasse finanzielle Überforderung anders als bisher festzulegen, ist nicht im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zu entscheiden. Der Senat neigt aber der Auffassung zu, dass die Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz insoweit ohne Bedeutung ist.
Normenkette
BGB § 765
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Beschluss vom 01.08.2005; Aktenzeichen 4 O 163/05) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des LG Lüneburg abgeändert; der Beklagten wird für die Durchführung
des Rechtsstreits erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., L., bewilligt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht als Bürgin in Anspruch.
Am 20.8.1998 schlossen die Volksbank ... eG und Herr H., der Ehemann der Beklagten, einen Darlehensvertrag über 100.000 DM. Als Verwendungszweck ist "Betriebsmittelkredit" angegeben.
Am gleichen Tag verbürgte sich die Beklagte für Ansprüche der Volksbank aus diesem und einem weiterem Betriebsmittelkredit selbstschuldnerisch bis zum Betrag von 20.000 DM.
Die Beklagte hält den Bürgschaftsvertrag für sittenwidrig und damit nichtig. Sie sei krass finanziell überfordert.
Das LG hat den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Bürgschaftsvertrag sei nicht nichtig.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
II. Die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde der Beklagten ist zulässig, namentlich fristgerecht eingelegt worden (§§ 127 Abs. 2 S. 3, 567 Abs. 1 ZPO). In der Sache hat sie Erfolg, da die Rechtsverteidigung der Beklagten i.S.d. § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
1. Soweit das LG im angefochtenen Beschluss Privatautonomie und Vertragsfreiheit und damit den Umstand, dass es der unbeschränkt geschäftsfähigen Person unbenommen bleiben müsse, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die sie schlechthin überfordern oder die von ihr nur unter besonders günstigen Bedingungen erbracht werden können, betont, so bestehen insoweit bereits Bedenken. Die Rechtsprechung besonders des IX. Zivilsenats des BGH, der auch bei wirtschaftlich unsinnigen Bürgschaften naher Angehöriger die Privatautonomie betonte und eine Sittenwidrigkeit regelmäßig ablehnte (BGH v. 16.5.1991 - IX ZR 245/90, MDR 1991, 748 = WM 1991, 1154 [1157]), ist nach einer Entscheidung des BVerfG vom 19.10.1993 (BVerfG v. 19.10.1993 - 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, NJW 1994, 36) jedenfalls in weiten Teilen als überholt anzusehen; der IX. Zivilsenat des BGH hat im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG seine frühere Auffassung aufgegeben (BGH v. 24.2.1994 - IX ZR 227/93, MDR 1994, 575 = WM 1994, 680 [682]). Dass die Betonung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie in anderen Bereichen, etwa bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages wegen krasser finanzieller Überforderung eines echten Mitdarlehensnehmers weiterhin Geltung beanspruchen kann, steht einer abweichenden Beurteilung bei Bürgschaftsverträgen nicht entgegen.
Bei Austauschverträgen hängt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB wesentlich vom Ausmaß des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ab. Bei einseitig verpflichtenden Verträgen, insb. bei Bürgschaftsverträgen, bei denen eine Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB schon deswegen ausscheidet, weil es an einem Leistungsaustausch fehlt, tritt im Zusammenhang mit der Prüfung der Sittenwidrigkeit an die Stelle des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung die Frage nach dem krassen Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang einerseits und der Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner nahe stehenden Bürgen andererseits. Ein solches Missverhältnis begründet, wenn der Bürge dem Hauptschuldner aufgrund einer Ehe oder einer vergleichbaren engen Beziehung emotional verbunden ist und sich deshalb bei einer Bürgschaftsübernahme erfahrungsgemäß häufig nicht von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lässt, bei geschäftsungewandten ebenso wie bei geschäftsgewandten Personen ohne Hinzutreten weiterer Umstände die widerlegliche (§ 292 ZPO) tatsächliche Vermutung, dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
Vorliegend waren die Beklage und der Hauptschuldner Eheleute. Entgegen der Annahme des LG bedurfte es keines weiteren Vortrags der Beklagten dazu, dass sie ihr...