Leitsatz (amtlich)
Rechtsweg für Schadensersatzansprüche wegen Geschäftsschließung aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), die auf einen enteignungsgleichen Eingriff sowie Polizei- und Ordnungsrecht, hilfsweise einen enteignenden Eingriff gestützt werden
Normenkette
GVG § 17a Abs. 2; lfSG § 68 Abs. 1; VwGO § 40
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 10.05.2023; Aktenzeichen 8 O 3/23) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 10. Mai 2023 in Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 5. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert der Beschwerde wird auf 10.000.000 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verfolgt Schadensersatzansprüche wegen der monatelangen Geschäftsschließungen und -beschränkungen aufgrund der Corona Pandemie während der "Lockdowns" aus den von der T. GmbH & Co. KG, Dortmund, und der W. GmbH, U., abgetretenen Rechten.
Im Wesentlichen stützt die Klägerin ihre auf Ausgleich des Ertragsverlusts der Zedentinnen gerichteten Forderungen auf einen enteignungsgleichen Eingriff und § 80 Abs. 1 S. 2 NPOG, hilfsweise auf einen enteignenden Eingriff.
Die Klägerin hat gemeint, der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit sei hierfür eröffnet, wohingegen die Beklagte den Verwaltungsrechtsweg für gegeben hält.
Das Landgericht hat den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der einschlägige Rechtsweg aus § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG ergebe. Damit habe der Gesetzgeber eine gegenüber § 40 Abs. 2 VwGO und § 86 NPOG spezialgesetzliche Regelung geschaffen. Sie eröffne den Verwaltungsrechtsweg für coronabedingte Entschädigungsansprüche, die ihre Grundlage auch außerhalb des IfSG finden. Hierfür spreche sowohl der Wortlaut als auch der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck des Gesetzes.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie die Geltendmachung ihrer Forderungen vor den ordentlichen Gerichten weiterverfolgt und ihr bisheriges diesbezügliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der angekündigten Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung sowie auf den Nichtabhilfebeschluss und die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 ZPO i.V.m. § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO innerhalb der Notfrist von zwei Wochen fristgerecht eingelegt worden.
Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Sache an das Verwaltungsgericht verwiesen, weil vorliegend der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG eröffnet ist.
§ 68 Abs. 1 S.2 IfSG in der ab dem 17. September 2022 gültigen Fassung besagt, dass der Verwaltungsrechtsweg auch gegeben ist, soweit andere Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund dieses Gesetzes geltend gemacht werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin verdrängt der spezialgesetzliche § 68 Abs. 1 IfSG die Regelung der Rechtswegzuweisungen wie sie in § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO oder in landesrechtlichen Gesetzen des Polizei- und Ordnungsrechts, wie §§ 80, 86 NPOG, enthalten sind (sog. aufdrängende Sonderzuweisung). Voraussetzung ist lediglich, dass die Entschädigung für eine Maßnahme geltend gemacht wird, die ihre Grundlage im IfSG findet (Kruse, in: BeckOK InfSchR, 16. Ed. 8.4.2023, IfSG § 68 Rn. 10h). Letzteres ist hier der Fall, da die Klägerin eine Entschädigung für coronabedingte Geschäftsschließungen und -beschränkungen, die u.a. auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt wurden, geltend macht.
Die Klägerin kann sich für ihre Auffassung nicht mehr auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2022 stützen. Hiernach war für die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus enteignendem Eingriff und Aufopferung nach den allgemeinen Regeln ursprünglich der ordentliche Rechtsweg gegeben (BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2022 - 3 B 29/21 -, Rn. 9, juris). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die vorzitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch vor der Änderung des § 68 Abs. 1 IfSG ergangen ist. Denn der Satz 2 wurde erst mit der ab dem 17. September 2022 in Kraft getretenen Fassung eingefügt.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift soll der Verwaltungsrechtsweg für Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund des IfSG geltend gemacht werden können. Nicht vorausgesetzt ist danach, dass es um Ansprüche nach dem IfSG geht. Damit werden auch Anspruchsgrundlagen außerhalb des IfSG erfasst. Die Lesart der Klägerin, die lediglich "Ansprüche" aufgrund "dieses Gesetzes" umfasst wissen will, übersieht wesentliche Bestandteile der Norm. Vielmehr ist der Wortlaut umfassend zu verstehen.
Ausgenommen von der umfassenden Rechtswegzuweisung sind nach Satz 3 ausdrücklich Klagen betreffend Art. 14 A...