Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 5 O 139/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. Oktober 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden ≪5 O 139/18≫ teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen) hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.557,26 EUR festgesetzt.

 

Gründe

(§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO)

I. 1. Zulässigkeit der Berufungen

Die Berufungen der Beklagten und der Klägerin sind jeweils zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. Die als "Anschlussberufung" bezeichnete Berufung der Klägerin stellt nach ihren Formalien eine eigenständige Berufung dar. Als solche ist sie auch auszulegen, um zu verhindern, dass fälschlicherweise ihre Wirkungslosigkeit festgestellt wird, falls die Beklagten ihre Berufung zurücknehmen sollten [vgl. Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage, Bearbeiter Heßler zu § 524 Rn. 6; BGH, NJW 2011, 1455]. Im Übrigen hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung am 28. April 2020 klargestellt, dass er eine eigenständige Berufung erhoben habe.

2. Begründetheit der Berufungen

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden ≪5 O 139/18≫ vom 15. Oktober 2019 war dahin abzuändern, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Schadensersatzanspruch anlässlich des Verkehrsunfalles vom 12. März 2018 gegen 18.15 Uhr auf der BAB ... im Bereich A., Einmündungsstelle zur BAB ... zu. Die Zeugin G. hat die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug in einem so erheblichen Maße allein verschuldet (§§ 7 Abs. 4 und Abs. 5 S. 1 StVO), dass es geboten ist, die (erhöhte) Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug vollständig zurücktreten zu lassen. Deshalb ist die Berufung der Klägerin, mit der sie eine Abänderung der von der Einzelrichterin gebildeten Haftungsquote zu ihren Gunsten begehrt, unbegründet und war zurückzuweisen. Dem Senat erscheint eine Haftungsquote von 100 zu 0 zulasten der Klägerin angemessen.

a) Verschulden der Zeugin G.

Die Verstöße der Zeugin G. gegen § 7 Abs. 4 und Abs. 5 S. 1 StVO sind im Berufungsverfahren nicht streitig und von der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden zutreffend erkannt worden.

aa) Die Zeugin G. durfte sich nicht darauf verlassen, dass der Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrstreifenwechsel rechnete und ihr diesen im Sinne eines durchgeführten Reißverschlussverfahrens ermöglichen würde. Hierzu hat sie sich zu früh auf den weiterführenden Fahrstreifen eingeordnet und damit gegen die Grundsätze verstoßen, die § 7 Abs. 4 StVO für das sog. Reißverschlussverfahren aufstellt. Das Einfädeln auf dem weiterführenden Fahrstreifen erfolgt nach § 7 Abs. 4 StVO erst unmittelbar am Beginn der Verengung [Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, Bearbeiter König zu § 7 StVO Rn. 2 a. E. und Rn. 20]. Nach den Erklärungen des Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2018 (Bl. 71, 72 d. A.), denen die Klägerin nicht entgegengetreten ist, waren es aber noch gut 600 m bis zur Auffahrt auf die A ... als die Zeugin den Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, sodass das Ende des Fahrstreifens noch nicht erreicht gewesen ist. Auch aus den Angaben der Zeugin G. und ihrer Skizze, die der Sachverständige Dipl.-Ing. M. in seiner Anlage 11 zum schriftlichen Gutachten vom 21. Juni 2019 (Anlage zur Akte) umgesetzt hat, gab es kein Fahrstreifenende für die Zeugin G., die sie zur Durchführung eines Reißverschlussverfahrens berechtigte.

bb) Des Weiteren und vor allem hat die Zeugin G. gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen, wonach bei einem Fahrstreifenwechsel eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist. Dies ist nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht geschehen. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. hat sich die Kollision der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge ereignet, als beide in Bewegung waren. Das Klägerfahrzeug dürfte dabei etwa zur Hälfte in den Hauptfahrstreifen eingefahren gewesen sein. Der Lkw ist mit seiner vorderen rechten Front mit der linken hinteren Fahrzeugseite des Klägerfahrzeugs zusammengestoßen. Damit hat sich die Kollision eindeutig während des Fahrstreifenwechsels der Zeugin G. ereignet, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen ist. Sie hat sich in eine Lücke vor dem Lkw der Beklagten gesetzt, ohne zu beachten, dass die Sicht des Beklagten zu 1) nach vorne schräg rechts eingeschränkt gewesen ist. Jeder Fahrstreifenwechsel erfordert äußerste Sorgfalt, auch wenn er nur teilweise vollzogen wird [Hentschel/ König/Dauer-König, § 7 StVO Rn. 17]. Es ist jeder Wechse...

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