Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verlust der Aktivlegitimation bei Weiterverkauf unter Abtretung von Ansprüchen aus Sachmängelhaftung; zu Fragen des Vorteilsausgleichs
Leitsatz (amtlich)
1. Die Klausel "Ggf. noch bestehende Ansprüche gegenüber Dritten aus Sachmängelhaftung werden an den Käufer abgetreten" kann nicht als Abtretung der Ansprüche aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller an den Käufer ausgelegt werden.
2. Dem Freigabebescheid des Software-Updates kommt keine Tatbestandswirkung zu, aufgrund derer für das Gericht verbindlich feststünde, dass unzulässige Abschalteinrichtungen nicht (mehr) vorhanden sind. Das gilt auch für eine EU-Typgenehmigung nach den Vorgaben der Verordnung (EU) 2018/858.
3. a) Hat der Geschädigte sein Fahrzeug verkauft, bildet der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis ein Indiz für den ihm auf dem in seiner konkreten Situation zugänglichen Markt erzielbaren Preis, weil davon auszugehen ist, dass niemand ohne besonderen Grund unter Wert verkauft. b) Beruft sich der Schädiger nicht auf eine für den Geschädigten konkrete günstigere Verwertungsmöglichkeit, sondern lediglich auf das allgemeine Marktniveau, erfordert eine Erschütterung der Indizwirkung regelmäßig den Nachweis, dass der von dem Kläger vereinbarte Preis deutlich zu niedrig war.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 305, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 30.11.2023; Aktenzeichen 3 O 26/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 19. September 2019 geändert.
Die Beklagte hat an den Kläger 1.161 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. August 2023 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 85%, die Beklagte zu 15%.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch den jeweils anderen Teil durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Mit Kaufvertrag vom 22. Mai 2015 erwarb der Kläger von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten Pkw Mercedes-Benz E 220 CDI 2.1 l Diesel 125 kW OM 651 Euro 5 mit einem Kilometerstand von 72.687 km zu einem Kaufpreis von 22.000 EUR.
Unter dem 4. Dezember 2020 veräußerte der Kläger das Fahrzeug für 8.500 EUR bei einem Kilometerstand von 172.139 km. In dem Kaufvertrag, ein Formularvordruck des ADAC, für dessen Einzelheiten auf die Anlage K8 (Bd. III 453) Bezug genommen wird, ist unter anderem folgende Klausel enthalten:
"Das Kraftfahrzeug wird unter Ausschluss der Sachmängelhaftung verkauft. Dieser Ausschluss gilt nicht für Schadensersatzansprüche aus Sachmängelhaftung, die auf einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung von Pflichten des Verkäufers oder seines Erfüllungsgehilfen beruhen sowie bei der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit. Ggf. noch bestehende Ansprüche gegenüber Dritten aus Sachmängelhaftung werden an den Käufer abgetreten."
Das Fahrzeug ist mit einem sog. "Thermofenster" ausgestattet, dessen Temperaturbereich, außerhalb dessen die Abgasrückführung reduziert wird, streitig ist. Daneben verfügt es über ein "Geregeltes Kühlmittelthermostat". Am 11. Februar 2020 ist ein von dem Kraftfahrtbundesamt freigegebenes Software-Update auf dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt worden. Mit Bescheid vom 5. Juni 2020 ordnete das Kraftfahrtbundesamt Nebenbestimmungen wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen an.
Der Kläger hat hinsichtlich des "Thermofensters" behauptet, dass es außerhalb eines Temperaturbereichs von +15°C bis +35°C die Abgasrückführungsrate reduziere.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die auf Zahlung von 6.600 EUR, Feststellung der Ersatzpflicht weiterer Schäden und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen.
Der Kläger hatte zunächst seine erstinstanzlichen Anträge mit der Berufung weiterverfolgt. Mit Schriftsatz vom 4. August 2023 beantragt er nunmehr,
unter Änderung des angefochtenen Urteils,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.300 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2018 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die temperaturabhängi...