Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinsame Betriebsstätte nur bei Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation
Leitsatz (amtlich)
Eine gemeinsame Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ist nur dann zu bejahen, wenn zwischen den Tätigkeiten der unterschiedlichen Bediensteten als solchen in der konkreten Unfallsituation eine Verbindung in dem Sinn besteht, dass betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen.
Normenkette
SGB 7 § 106 Abs. 3 Alt. 3
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 10.06.2015; Aktenzeichen 6 O 107/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das Schlussurteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des LG Hannover vom 10.6.2015 - Az. 6 O 107/14 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte zu 1 trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil und das vorgenannte Urteil des LG Hannover sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(Abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO.)
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des LG, wonach die Beklagte zu 1 neben dem bereits gesondert rechtskräftig verurteilten Beklagten zu 2 der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 18.10.2011 auf Schadensersatz haftet und sich nicht auf eine Haftungsprivilegierung gemäß § 106 Abs. 3 SGB VII berufen kann, ist nicht zu beanstanden.
1. Das LG hat zu Recht angenommen, die Beklagte zu 1 könne sich nicht auf das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII berufen.
Nach dieser Regelung sind Personen, auch wenn sie Versicherte verschiedener Unternehmen sind, aber vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten, zum Ersatz des Personenschadens, der durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht worden ist, nur dann verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGV VII versicherten Weg herbeigeführt haben.
Nach der Rechtsprechung des BGH erfasst der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein. Es muss die typische Gefahr bestehen, dass die Beteiligten sich "ablaufbedingt in die Quere kommen"; ein lediglich einseitiger Bezug genügt im Rahmen des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII nicht (vergl. u.a. BGH MDR 2013, 590 ff.).
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte ist recht restriktiv. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass andernfalls dem Sinn und Zweck der Regelung des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII nicht ausreichend Rechnung getragen würde, denn der darin enthaltene Haftungsausschluss beruht auf dem Gedanken der sog. Gefahrengemeinschaft (vgl. zum Ganzen: BGH, VersR 2004, 381 - juris, Rn. 17 sowie Rdnrn. 14 ff.).
Die vertraglichen oder sonstigen Beziehungen, die zu dem Tätigwerden der Arbeitnehmer der verschiedenen Unternehmen geführt haben, spielen für die Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, keine Rolle. Der Haftungsausschluss knüpft allein an die vorstehend dargestellten Merkmale an und ist allein im Hinblick auf die zwischen den Arbeitnehmern bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt (BGH, VersR 2011, 882 - juris, Rn. 14). Für die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte reicht ein zufälliges Aufeinandertreffen zweier Versicherter in ihrer betrieblichen Tätigkeit nicht aus. Es muss vielmehr eine Gefahrengemeinschaft in dem Sinne bestehen, dass der Versicherte des fremden Unternehmens durch die betriebliche Tätigkeit des Schädigers vorübergehend demselben typischen Risiko ausgesetzt ist, dem sonst insbesondere Arbeitskollegen desselben Betriebes ausgesetzt wären (OLG Hamm, NJW-Spezial 2012, 170 - juris, Rdnrn. 19, 20).
Der Bundesgerichtshof stellt zudem ganz entscheidend darauf ab, dass sich die Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, auf konkrete Arbeitsvorgänge beziehen muss (vergl. nur BGH MDR 2013, 590 ff. - juris Rdnr. 13).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das LG mit seinen Ausführungen auf S. 7 und 8 seines Urteils zutreffend das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte verneint. Auf diese Ausführungen nimmt der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Bezogen auf den konkreten Arbeitsvorgang ist im vorliegenden Fall nicht von dem erforderlichen bewussten Mitein...