Leitsatz (amtlich)
1.
Eine unter Hinweis auf § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG vorgenommene Weiterleitung der Akten durch das als Berufungsgericht angerufene Landgericht an das Oberlandesgericht, um die der Berufungsführer nicht gebeten hat, begründet grundsätzlich keine Sachbefassungs- und Entscheidungszuständigkeit des letztgenannten Gerichtes.
2.
Eine solche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts scheidet erst recht dann aus, wenn die Weitergabe der Akten ohne Gewährung rechtlichen Gehörs erfolgt ist, die funktionelle Unzuständigkeit des angerufeenen Landgerichts nicht einmal klar auf der Hand liegt und der Berufungsführer überdies nachträglich deutlich macht, dass er das Landgericht weiterhin für zuständig hält.
Verfahrensgang
AG Stollberg (Aktenzeichen 2 C 32/06) |
LG Chemnitz (Aktenzeichen 6 S 162/07) |
Tenor
Die Sache wird an das Landgericht Chemnitz zur Fortführung des dort anhängigen Verfahrens 6 S 162/07 zurückgegeben.
Gründe
I.
Am 27.04.2007 reichte der Beklagte, dem das anzugreifende Urteil des Amtsgerichts am 04.04.2007 zugestellt worden war, einen Prozesskostenhilfeantrag nebst Entwurf einer Berufungsbegründung beim Landgericht ein. Der Kammervorsitzende leitete den Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu. Diese hielt das Gesuch für nicht aussichtsreich; zu Recht habe das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Am 21.06.2007 verfügte der Berichterstatter der Kammer:
"2.
Das Landgericht Chemnitz ist nicht für die Entscheidung über die Berufung/den PKH-Antrag des Berufungsverfahrens zuständig. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland. Aus diesem Grunde ist für die Berufung gegen die Entscheidung des Amtsgerichtes ausschließlich das OLG Dresden zuständig.
3.
Ziffer 2 zur Kenntnisnahme an die Prozessbevollmächtigten beider Seiten unter Hinweis darauf, dass die Akte dem Oberlandesgericht Dresden vorgelegt wird.
4.
Akte an OLG Dresden unter Hinweis auf Ziffer 2 der Verfügung.
5.
Abtragen."
Die Akten gingen am 28.06.2007 beim Oberlandesgericht ein. Nach einem telefonischen Hinweis des Senatsvorsitzenden auf § 119 GVG und zur Frage der Wiedereinsetzung hat der Beklagte geltend gemacht, ausweislich der Klageschrift habe der Kläger bei Klageerhebung in Deutschland gewohnt. Damit sei das Landgericht Chemnitz zuständig. Bei diesem sei der Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig gestellt worden, so dass es auf Wiedereinsetzungsfragen nicht ankomme.
II.
Eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hat der Senat nicht zu treffen. Vielmehr ist die Sache an das Landgericht zur weiteren Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzugeben.
1.
Der Beklagte hat das Landgericht als (künftiges) Berufungsgericht angerufen und nicht, auch nicht im Sinne einer nachträglichen Billigung, um "Verweisung" oder formlose Angabe an das Oberlandesgericht gebeten. Die unaufgeforderte Weitergabe der Akten durch ein fälschlich angerufenes Landegericht an das in Wahrheit gemäß § 119 GVG zuständige Oberlandesgericht kann im Einzelfall angebracht sein und die Sachbefassungs- und Entscheidungszuständigkeit des letztgenannten Gerichtes begründen. Voraussetzung ist aber stets, dass die Unzuständigkeit des vom Berufungsführer/Antragsteller angerufenen Landgerichts klar und unzweifelhaft auf der Hand liegt. Diese Einschränkung gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - den Beteiligten, namentlich dem (künftigen) Berufungsführer, vor der Abgabe kein rechtliches Gehör gewährt worden und außerdem, bezogen auf ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht, sowohl die Berufungsfrist als auch die identische Frist zur Stellung eines Prozesskostenhilfeantrages, um später Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist erlangen zu können, verstrichen ist.
2.
Im Streitfall ist nicht ausgeschlossen, sondern liegt im Gegenteil sogar nahe, dass das Landgericht funktionell zuständig ist.
Die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG, der auch für mietrechtliche Streitigkeiten der vorliegenden Art eingreift (grundlegend BGH, Beschluss vom 15.07.2003 - VIII ZB 30/03, NJW 2003, 3278), sind nach dem Wortlaut der Vorschrift erfüllt, wenn der Kläger im Zeitpunkt der (Begründung der) Rechtshängigkeit keinen inländischen allgemeinen Gerichtsstand hatte. Das hat der Berichterstatter des Landgerichts ohne nähere Erläuterung angenommen. Der Beklagte behauptet dagegen unter Hinweis auf die in der Klageschrift vom 10.01.2006 mitgeteilte Anschrift in Köln das Gegenteil. Im gesamten ersten Rechtszug und bis zur Berichterstatterverfügung des Landgerichts vom 21.06.2007 spielte die Frage, ob der Kläger bei Zustellung der Klage am 29.05.2006 seinen Wohnsitz (§ 13 ZPO) und damit seinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hatte, keine Rolle. In einem Schriftsatz vom 22.01.2006 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem sachbearbeitenden Amtsgerichtsdirektor zwar "wunschgemäß" (den Akten ist nicht zu entnehmen, ob es einen solchen Wunsch gab und woher dieser ggf. rührte) die Anschrift des Mandanten wie folgt mit: P.O...