Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindesunterhalt. Prozesskostenhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Die erweiterte Unterhaltspflicht erstreckt sich in analoger Anwendung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB auf solche volljährigen, in allgemeiner Schulpflicht befindlichen Kinder, welche im Haushalt von Großeltern leben.

 

Normenkette

BGB § 1603 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Görlitz (Aktenzeichen 1 F 0182/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Görlitz vom 3. August 2001 abgeändert:

Dem Beklagten wird für das Verfahren erster Instanz rückwirkend ab dem 31.05.2001 Prozesskostenhilfe bewilligt.

Zur Wahrnehmung der Rechte wird ihm …, beigeordnet. Eine Verpflichtung, die voraussichtlichen Kosten der Prozessführung ratenweise zu begleichen, wird dem Beklagten nicht auferlegt.

 

Gründe

I.

Der Kläger ist der Vater des am 16.04.1983 geborenen und nunmehr volljährigen Beklagten. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Görlitz vom 05.04.2001, Az: 51 FH 56/00, wurde der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts für seinen Sohn, beginnend ab dem 01.01.2001, in Höhe von 100 % des Regelbetrags (Ost) der 3. Altersstufe nach § 2 RegelbetragVO, somit 465,00 DM, verurteilt.

Mit der am 10.05.2001 erhobenen Abänderungsklage nach § 656 ZPO begehrt er die Abänderung der Unterhaltsverpflichtung auf Null, da er nicht leistungsfähig sei.

Der Beklagte befindet sich noch in der allgemeinen Schulausbildung, er besucht das Technische Gymnasium der Stadt Görlitz. Er lebt nach dem Vortrag der Parteien seit frühester Kindheit im Haushalt seiner Großeltern.

Das Amtsgericht hat im Beschluss vom 03.08.2001 dem Beklagten Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung versagt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich beim Beklagten nicht um einen privilegierten Unterhaltsgläubiger i.S. des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB handele, da der Beklagte nicht im Haushalt seiner Eltern bzw. eines Elternteils lebe. Damit bestehe auch keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit des Klägers als Unterhaltsschuldner.

Dieser Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 07.08.2001 zugestellt. Am 20.08.2001 erreichte ein Fax des Beklagten das Familiengericht Görlitz, in dem dieser gegen die Prozesskostenhilfe ablehenden Entscheidung des Familiengerichts Beschwerde eingelegt hat. Den Kläger treffe gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB die verschärfte Unterhaltshaftung, da der Beklagte einkommens- und vermögensloser Schüler am Technischen Gymnasium Görlitz sei. Die Kindschaftsreform von 1998 habe sicherstellen wollen, dass das volljährige Kind in einem wichtigen Lebensabschnitt (der in der Regel bis zum Abitur gehe) weiterhin unterhaltsberechtigt sei. Ein Jugendlicher, der nicht im Haushalt seiner Eltern lebe – sondern hier bei seinen Großeltern – könne allein deshalb nicht schlechter gestellt werden.

II.

Die Beschwerde des Beklagten ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig. Sie ist nicht fristgebunden.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Dem Beklagten hätte Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen die Abänderungsklage nicht unter Hinweis auf § 114 ZPO versagt werden dürfen. „Hinreichende Erfolgsaussicht” i.S. des § 114 ZPO ist dann gegeben, wenn es aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich ist, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird (vgl. beispielsweise Zöller-Philippi, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rdn.19 m.w.N.).

Das ist vorliegend zu bejahen. Das Familiengericht hat unzutreffend die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 1603 Abs. 3 Satz 2 BGB auf den hier zu beurteilenden Fall nicht in Betracht gezogen.

Zwar scheint zunächst der Wortlaut der Norm einem solchen Ergebnis entgegenzustehen, da nach diesem volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres den minderjährigen unverheirateten Kindern dann gleichstehen, „solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben” (und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden). Der Wortlaut der Norm unterstützt daher zunächst die angefochtene Entscheidung (vgl. in diesem Sinne auch Palandt-Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., § 1603 Rdn.56 sowie Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 2 Rdn.456 allerdings jeweils ohne nähere Begründung).

Bei der hier vorzunehmenden Gesetzesauslegung ist indes bei der Ermittlung des Wortsinns nicht stehen zu bleiben, vielmehr sind die Entstehungsgeschichte und insbesondere der Zweck der Norm zu berücksichtigen.

§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB wurde durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz-KindUG) vom 06.04.1998 (BGBl. I 1998, 666) in das vierte Buch des BGB eingefügt. Dieses Gesetz zielte insbesondere darauf ab, das Unterhaltsrecht für eheliche und nichteheliche Kinder zu vereinheitlichen, wie bereits vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf Artikel 6 Abs. 5 GG gefordert (BVerfGE 85, 80, 87). Die in diesem Zusammenhang in § 1603 Ab...

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